Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
geschickt aus weniger schmeichelhaften Sätzen geschnitten? »Während Dostojewski ein Meisterwerk schrieb, gelang Vivian Elmsley nicht mehr als ein dahingeschludertes Machwerk der untersten Kategorie.« Oder: »Hätte dieses Buch auch nur das kleinste Anzeichen von literarischer Qualität oder kreativer Phantasie aufgewiesen, so hätte ich nicht gezögert, es zu einem Muss im Regal oder zu einem Werk erster Güte zu erklären, aber da es diese Eigenschaften in keinster Weise besitzt, muss ich sagen, es ist eine Niete.«
Jenny kam zurück. Sie hatte den geringen Schaden beseitigt, dem die Tränen ihrem Make-up zugefügt hatten. Sie brachte einen neuen Campari Soda mit.
»Weißt du«, sagte sie, »die ganze Zeit im Flugzeug habe ich mir vorgestellt, wie ich hier sitze und mit dir über alles rede. Ich hab mir vorgestellt, wie das sein würde, nur du und ich hier im Queen's Arms, so wie früher. Ich weiß nicht, warum es mir so schwer fällt. Vielleicht liegt es noch an der Zeitverschiebung.«
»Mach dir nichts draus«, erwiderte Banks. »Erzähl mir einfach, was du willst, und lass dir Zeit.«
Sie lächelte und tätschelte seinen Arm. »Danke. Du bist lieb.« Sie nahm sich eine von seinen Zigaretten und zündete sie an.
»Du rauchst doch gar nicht«, sagte Banks.
»Jetzt schon.« Jenny blies eine große Wolke aus. »Ich hatte es einfach satt mit den Nikotin-Faschos da drüben. Man darf nirgendwo rauchen. Wenn man sich vorstellt, dass Kalifornien in den Sechzigern eine richtige Brutstätte von Protest und Erneuerung war! Jetzt ist es ein lächerlicher Kindergarten, der von Faschisten regiert wird.«
Er hatte Jenny noch nie so reden hören. Noch etwas Neues. Rauchen, trinken, schimpfen. Er bemerkte, dass sie nicht auf Lunge rauchte und die Zigarette nach der Hälfte ausdrückte. »Wie du sicherlich inzwischen gefolgert hast«, fuhr sie fort, »ist Randy, mein Obermacker, mein Geliebter, mein zweites Ich, mein Grund, es da drüben überhaupt so lange ausgehalten zu haben, nicht mehr Teil meines Lebens. Das kleine Arschloch.«
»Was ist passiert?«
»Studentinnen. Oder um es deutlicher auszudrücken: blonde, zwanzigjährige Tittenmonster, die das Gehirn zwischen den Beinen haben.«
»Das tut mir Leid, Jenny.«
Sie winkte ab. »Ich hätte es kommen sehen müssen. Jede andere hätte es gemerkt. Na ja, als ich herausgefunden hatte, was er so alles trieb, hielt mich nicht mehr viel. Nachdem ich ihn mit dem Beweis konfrontiert hatte, sorgte mein lieber Randy dafür, dass mir kein zweites Jahr als Gastdozentin angeboten wurde.«
»Was hast du jetzt vor?«
»Na, Gott sei Dank sind nicht alle so. Ich kriege meine alte Stelle in York wieder. Nächsten Monat fange ich an. Wenn das nicht klappt, mache ich direkt neben der Bullerei meine eigene Praxis auf. Ich habe ziemlich viel Erfahrung mit Gestörten und Kriminalpsychologie, wenn ihr also mal zufällig einen Serienmörder in der Gegend herumlaufen habt. Ich hab sogar Seminare bei den Profilern vom FBI gemacht.«
»Soll ja alles ausgemachter Blödsinn sein«, sagte Banks. »Aber ich bin beeindruckt. Tut mir Leid, dass wir im Moment nichts im Angebot haben.«
»Ich weiß ... >Wir melden uns bei Ihnen< ... das hör ich schon mein Leben lang.«
»Ich bin mir sicher, dass du problemlos immer wieder Arbeit bekommst, Jenny, aber wenn mal irgendwas sein sollte, wenn ich was für dich tun kann ...«
»Danke. Du bist ein Kumpel.« Sie tätschelte seine Hand.
»Ich möchte dich allerdings um Rat fragen.«
»Dann mal los! Ich hör jetzt auf zu quatschen und zu klagen. Und ich hab noch nicht mal nach dir gefragt. Seit Sandra weg ist, hab ich dich noch gar nicht gesehen. Wie geht's dir denn?«
»Mir geht's gut, danke.«
»Was Neues?«
Banks schwieg kurz. »So ungefähr.«
»Was Ernstes?«
»Was ist das denn für eine Frage?«
»Also was Ernstes. Was ist mit Sandra?«
»Willst du wissen, ob sie was Neues hat? Ja.«
»Oh.«
»Das ist in Ordnung, Jenny. Kein Problem.«
»Wenn du das sagst. Was wolltest du mich denn fragen?«
»Es geht um Matthew Shackleton. Gwens Bruder - also womöglich der Bruder von Vivian Elmsley. Er wurde allem Anschein nach von den Japanern gefangen genommen und verbrachte mehrere Jahre in einem Gefangenenlager. Als er nach Hause kam, war er offenbar ziemlich gestört. Fünf Jahre nach dem Krieg beging er schließlich
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