Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer

Chief Inspector, aber das kommt für mich alles sehr überraschend.«
      »Ohne Zweifel.« Banks warf Annie einen kurzen Blick zu, die mit dem Notizblock auf dem Schoß keine Miene verzog. »Darf ich fragen, warum Sie sich auf unsere Aufrufe hin nicht gemeldet haben?«, fragte er.
      Vivian Elmsley machte eine Pause, bevor sie antwortete, als müsse sie ihre Gedanken sorgfältig ordnen, so wie sie vielleicht eine Manuskriptseite redigierte. »Chief Inspector«, sagte sie, »ich gebe zu, dass ich die Entwicklung des Falles sowohl in der Zeitung als auch im Fernsehen verfolgt habe, aber ich glaube wirklich nicht, dass ich Ihnen irgendetwas von Wert erzählen kann. Außerdem habe ich das alles als sehr peinigend empfunden. Deshalb habe ich mich nicht gemeldet.«
      »Ach, das kann ich nicht glauben«, entgegnete Banks. »Sie haben nicht nur während des Krieges in Hobb's End gelebt, sondern Sie waren sogar ihre Schwägerin. Sie können doch nicht erwarten, dass ich glaube, dass Sie nicht wissen, was mit ihr geschah.«
      »Glauben Sie, was Sie möchten.«
      »Standen Sie ihr nahe?«
      »Das würde ich nicht behaupten, nein.«
      »Mochten Sie sie?«
      »Ich kann wirklich nicht sagen, dass ich sie gut gekannt habe.«
      »Sie waren ungefähr gleichaltrig. Sie müssen mehr gemeinsam gehabt haben als die Verwandtschaft zu ihrem Bruder.«
      »Sie war älter als ich. In dem Alter macht das schon einen Unterschied. Ich würde nicht sagen, dass wir viele Gemeinsamkeiten hatten. Ich hatte meinen Kopf immer schon in den Büchern, Gloria war ein eher überschwänglicher Mensch. Wie so viele Extrovertierte war sie aber auch verschlossen, sehr schwer zugänglich.«
      »Haben Sie sich oft gesehen?«
      »Ziemlich oft. Mal kam ich bei ihr, mal sie bei uns vorbei, Bridge Cottage war nicht weit vom Laden entfernt.«
      »Und trotzdem behaupten Sie, sie nicht gut gekannt zu haben?«
      »Ja. Auch Sie haben möglicherweise Cousins oder Schwager, die Sie kaum kennen, Chief Inspector.«
      »Unternahmen Sie denn nichts gemeinsam?«
      »Was denn?«
      »Keine Ahnung. Mädchensachen.«
      Annie warf ihm einen kurzen Blick zu, den er fühlte, bevor er ihn aus dem Augenwinkel wahrnahm. Herrgott noch mal, dachte er, das waren damals Mädchen. Er war mal ein Junge gewesen, da hatte er Jungensachen gemacht, und es störte ihn nicht, wenn sich jemand so ausdrückte.
      Vivian schürzte die Lippen und zuckte dann mit den Achseln. »Mädchensachen? Wahrscheinlich ja. Was alle während des Krieges taten: ins Kino gehen, tanzen gehen.«
      »Mit amerikanischen Soldaten?«
      »Manchmal schon.«
      »Gab es jemand Bestimmten?«
      »Wir freundeten uns im letzten Kriegsjahr wohl mit mehreren an.«
      »Können Sie sich an die Namen erinnern?«
      »Ich denke schon. Warum?«
      »Brad, zum Beispiel? Klingelt's da bei Ihnen?«
      »Brad? Ja, ich glaube, so hieß einer.«
      »Wie war sein Nachname?«
      »Szikorski. Brad Szikorski.«
      Banks suchte den Namen auf der Liste der in Rowan Woods stationierten Soldaten, die er mitgenommen hatte. Bradford J. Szikorski, Jr. Das musste er sein.
      »Und PX? Billy Joe?«
      »Edgar Konig und Billy Joe Farrell.«
      Auch sie standen auf der Liste.
      »Wie steht's mit einem Charlie?«
      Vivian Elmsley wurde blass; ein Kiefermuskel begann zu zucken. »Markleson«, flüsterte sie. »Charlie Markleson.«
      Banks prüfte es nach. »Charles Christopher Markleson? Ist er das?«
      »Charlie. Alle nannten ihn Charlie.«
      »Schon gut.«
      »Wie sind Sie an die Namen gekommen? Ich habe sie schon so lange nicht mehr gehört.«
      »Es ist nicht von Belang, wie wir daran gekommen sind. Wir haben ebenfalls herausgefunden, dass Gloria ein Verhältnis mit Brad Szikorski hatte. Traf sie sich noch mit ihm, als Matthew wieder zurück war? Steckt das dahinter?«
      »Nicht dass ich wüsste. Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen. Chief Inspector, Sie sind falsch informiert. Gloria war mit Matthew verheiratet, ob er da war oder nicht. Ja, wir gingen gelegentlich mit den Jungen ins Kino, manchmal auch tanzen, aber mehr war da nicht. Ein Liebesverhältnis stand außer Frage.«
      »Sind Sie da sicher?«
      »Ganz bestimmt.«
      »Wie benahm sich Gloria in der Abwesenheit ihres Mannes?«
      »Wie meinen Sie das?«
      »Als sie ihn für tot hielt. Das änderte doch wohl so einiges, oder? War ja nicht so, dass sie da noch auf ihn