Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
Hut abzunehmen.
Ich muss sagen, dass Gloria strahlend schön war. Mit ihrem Engelsgesicht und ihrem irdischen Körper hatte sie natürlich die besten Voraussetzungen. Obwohl sie so geschickt im Anfertigen von Kleidern war, hatte sie entschieden, es sei weitaus praktischer, ein Hochzeitskleid zu kaufen. Sie hatte eins im Ausverkauf bei Foster's in Harkside für nur zwei Pfund zehn Shilling erstanden. Es war weiß und von schlichter Machart, weder bauschig noch besaß es eine mehrere Meter lange Schleppe. Es war elegant und geschmackvoll. Doch hatte sich Gloria ihren eigenen Schleier aus Spitze genäht, denn Spitze war nicht rationiert. Ich weiß zwar nicht, ob sie ihr Haar mit Zuckerwasser gelegt hatte, aber ihre glänzenden blonden Korkenzieherlocken fielen ihr in noch umwerfenderer Aufmachung als sonst auf die Schultern.
Sobald Mutter ihren Segen gegeben hatte, hatte Gloria das Hochzeitskleid gekauft, und sie hatte Glück gehabt, denn als ob man es geahnt hätte, trat am Sonntag vor der Hochzeit eine Kleidungsrationierung in Kraft. Zum Glück hatten wir uns bereits ans Ausbessern und Flicken gewöhnt. Matthew kramte seinen einzigen Anzug hervor, wir ließen ihn reinigen und plätten. Für eine neue Garderobe hätte er die Kleidungszuweisung eines halben Jahres aufbrauchen müssen. Mutter zog ihr bestes geblümtes Kleid an, trug dazu einen Gürtel und ein bisschen Spitze, damit es neu Wirkte; außerdem kaufte sie sich zu dem Anlass einen neuen Hut, da Hüte wie Spitze und Borte zu den wenigen Textilien gehörten, die nicht rationiert waren.
Cynthia Garmen und ich waren die Brautjungfern. Wir trugen aus alten Vorhängen genähte Taftkleider. Als i-Tüpfelchen zerschnitt ich Spitze, mit der wir unsere Schlüpfer schmückten. Wie es Cynthia erging, weiß ich nicht - sie sagte jedenfalls keinen Ton aber mir juckte es wegen der Dinger die gesamte Messe hindurch an den Oberschenkeln.
Es war der 7. Juni 1941, ein wunderbarer Tag, wie Spuren verschütteter Milch schrieben die Wolken arabische Schriftzeichen in den Himmel.
Die Trauung verlief glatt. Reverend Graham führte mit seiner bekannten rhetorischen Fertigkeit feierlich durch den Gottesdienst. Barry Naylor, Matthews Trauzeuge, hatte an den Ring gedacht und keiner vergaß seinen Text. Niemand wurde ohnmächtig obwohl es unerträglich heiß in der Kirche war. Mutter vergoss ein paar Tränen. Natürlich gab es kein Konfetti, es herrschte ja Papierknappheit. Noch etwas stimmte nicht, es nagte in meinem Hinterkopf, doch merkte ich erst ganz spät am Abend, um was es sich handelte.
Wir stellten uns draußen für die Bilder auf. Filme waren teuer und schwer zu beschaffen, aber wir wollten Matthews Hochzeitstag nicht ganz ohne Erinnerungsfotos verstreichen lassen. Einer seiner Freunde von der Bürgerwehr, Jack Cheswick, fühlte sich ein bisschen als Hobby-Fotograf und Mr. Truewell, der Apotheker, tat uns einen Gefallen und überließ uns den Film für nur zwanzig Passing-Cloud-Ziga-retten. Wir hatten Glück: Die Bilder wurden schön, nur leider ging das Album später bei einem der vielen Umzüge verloren.
Der Empfang fand im Gemeindehaus statt. Selbstverständlich hatte ich mich um Speisen und Getränke gekümmert, die letzten Vorbereitungen konnte ich jedoch meinen Helferinnen Sue und Olive überlassen. Wir hatten in Leeds eine Rationszuweisung beantragen müssen, und Sue, die selbst ein paar Monate zuvor geheiratet hatte, hatte mir geraten, die geschätzte Zahl der erwarteten Gäste zu verdoppeln. Ich gab also an, wir würden hundert Personen erwarten. Doch auch so wurden uns nur zwei Unzen Tee bewilligt, den wir mit unseren eigenen Rationen verlängern mussten, um ihn überhaupt trinkbar zu machen.
Glücklicherweise waren über Lend-Lease gerade die ersten amerikanischen Lebensmittel bei uns im Laden eingetroffen, deshalb hatten wir Dosenfleisch für Sandwiches und Wurstfleisch in Dosen, aus dem man ganz wunderbare Würstchen im Schlafrock machen konnte, denn das verbliebene Fett in der Dose konnte man als Zutat für den Teig verwenden. Zu trinken gab es nicht viel, aber wir bekamen ein Fass wässriges Bier vom Shoulder of Mutton und hatten noch ein wenig süßen Sherry im Schrank aufbewahrt. Mr. Stanhope stellte eine Flasche Gin und etwas Wein zur Verfügung. Der Hochzeitskuchen war die größte Enttäuschung. Schon seit fast einem Jahr war Zuckerguss verboten, daher mussten wir uns mit einer Attrappe aus Pappe und Krepp behelfen.
Weitere Kostenlose Bücher