Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
waren, dann ging ich vollkommen erschöpft zu Bett.
Erst als ich kurz vor dem Einschlafen war und das Tosen und Brummen der Bomber hörte, die vom Luftwaffenstützpunkt Rowan Woods aus starteten, fiel mir wieder ein, was mich nach der Trauung vor der Kirche so verwirrt hatte.
Nicht nur das Konfetti hatte gefehlt, auch die Hochzeitsglocken hatten nicht geläutet. Seit 1940 hatten keine Kirchenglocken mehr geläutet, dies durfte nur im Fall einer Invasion geschehen. Es war mir gar nicht aufgefallen, weil ich mich schon so an die Stille gewöhnt hatte.
Ich fand das sehr traurig und weinte mich an dem Abend in den Schlaf.
***
Als Annie Schritte auf der Treppe hörte, blieb sie mit dem staubigen Aktenordner in der Hand stehen. Sie hoffte, es sei Constable Gould mit einer Tasse Tee, deshalb war sie überrascht, als sie statt seiner Chief Inspector Banks erblickte.
»Inspector Harmond sagte mir, Sie wären hier unten«, erklärte Banks.
Annie hob den Kopf und machte eine ausladende Handbewegung, um ihm den modrig riechenden, schlecht beleuchteten Raum vorzustellen. »Willkommen im Archiv«, sagte sie. »Sie sehen, wie oft wir hier in unsere Vergangenheit abtauchen.«
»Keine Sorge. Eines Tages wird das alles im Computer sein.«
»Dann bin ich aber längst unter der Erde.«
Lächelnd bückte sich Banks unter einem Rohr hindurch und ging zu ihr hinüber. »Schon was gefunden?«
»Eine ganze Menge, ehrlich gesagt. Ich habe fast den ganzen Tag am Telefon gehangen, jetzt wollte ich gerade die Vermisstenakten durchgehen.«
»Und?«
»Der fragliche Zeitraum ist in dieser Hinsicht ziemlich verwirrend. Direkt nach dem Krieg. Damals änderte sich ständig etwas, die Menschen kamen und gingen. Die meisten von denen, die vermisst wurden, tauchten irgendwann wieder auf, tot oder lebendig oder in den Kolonien. Ein paar junge Frauen, auf die die Beschreibung passt, sind nicht weiter belegt. Dem gehe ich noch nach.«
»Lust auf ein Bier? Im Black Swan?«
Annie grinste. »Sie sprechen mir aus der Seele.« Das war eine Erleichterung! Wenn sie auf eine Tasse Tee gehofft hatte, so war die Aussicht auf ein Pint Swan's Down noch viel verlockender. Sie hatte fast den ganzen Nachmittag in dem stickigen Keller verbracht, ihr Mund war voller Staub, die Kontaktlinsen wurden langsam trocken. Und immerhin war es Freitagnachmittag und schon nach fünf Uhr.
Wenige Minuten später gemütlich auf einer gepolsterten Bank sitzend, die Beine ausgestreckt und die Knöchel verschränkt, das Bier bereits halb leer getrunken, leckte sich Annie die Lippen. Wäre sie eine Katze, hätte sie geschnurrt.
»Zuerst habe ich das Wahlregister durchgesehen«, sagte sie, »aber der Beamte im Gemeindebüro meinte, dass man es seit Kriegsausbruch nicht mehr aktualisiert hatte. Die letzte dort eingetragene Bewohnerin von Bridge Cottage ist eine Miss Violet Croft. Beim Grundbuchamt hatte ich etwas mehr Glück. Violet Croft mietete das Cottage von Lord Clifford und dessen Verwalter führte seine Bücher tadellos. Sie wohnte dort vom 14. September 1919 bis zum 3. Juli 1940, also muss das die alte Frau sein, an die sich Ruby Kettering erinnert - die Frau, die die Kinder im Dorf für eine Hexe hielten. Bis Juni 1941 stand das Haus leer, dann ließen sich dort Mr. und Mrs. Shackleton nieder. Eventuell wurde es in der Zwischenzeit zur Einquartierung von Evakuierten oder Armeeangehörigen beschlagnahmt, darüber gibt es aber keine Unterlagen, das war nicht herauszufinden.«
»Ich glaube nicht, dass es viele Häuser gab, die während des Krieges längere Zeit leer standen«, meinte Banks. »Vielleicht wurden dort ein paar Soldaten einquartiert, die bei einer Sauforgie eine Nutte umbrachten und dann ihre Spuren verwischten?«
»Möglich ist das.« Annie erschauderte leicht.
»Wir haben es hier mit dem Krieg zu tun«, fuhr Banks fort. »Feldlager und Fliegerhorste schossen wie Pilze aus dem Boden. Evakuierte kamen und gingen. Es war leicht unterzutauchen, eine andere Identität anzunehmen, sich durch die Lücken zu drücken.«
»Aber es gab Personalausweise und Lebensmittelkarten. Das hat mir der Mann von der Gemeindeverwaltung erzählt. Er meinte, zu Beginn des Krieges existierte eine Stelle, die an alle Ausweise verteilte.«
»Aber ich kann mir vorstellen, dass es häufig zu Manipulationen kam. Wer weiß, vielleicht haben wir es mit einer Nazispionin zu tun, die vom
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