Inspector Alan Banks 10 In einem heißen Sommer
Weg, so dass man in einer bewölkten, mondlosen Nacht stundenlang in der Schwärze herumtappen konnte, ohne das Dorf zu finden. Wenn der Mond nicht schien, mussten wir den langen Heimweg nehmen: Long Hill hinauf und dann The Edge entlang, wobei wir aufpassen mussten, nicht in den Harks-mere-Stausee zu fallen.
Weil Harkside viel größer war, wirkte es bei Verdunkelung viel schauriger als Hobb's End. Erstens gab es dort, anders als bei uns, Straßenlaternen, und obwohl die natürlich nicht brannten, war jede mit einem weißen Strich bemalt worden, damit man sich im Dunkeln besser zurechtfand, dazu dienten auch die weißen Streifen entlang der Bürgersteige. Die Leute setzten kleine Tupfer Leuchtfarbe auf ihre Türklingeln, so dass sie entlang der Straßen blinkten wie Glühwürmchen.
Manchmal ließen wir uns von den in Rowan Woods stationierten Angehörigen der Luftwaffe mitnehmen, wir freundeten uns mit ein paar kanadischen Fliegern an, die an die RAF angeschlossen waren: Mark aus Toronto und Stephen aus Winnipeg. Mark sah umwerfend aus, ich hätte seinem weichen, sanften Akzent den ganzen Abend zuhören können. Durch die Art, wie er Gloria ansah, wusste ich, dass sie ihm gefiel. Er schaffte es sogar, sie hin und wieder zu berühren, nahm beispielsweise ihre Hand, um ihr aus dem Jeep zu helfen, oder legte sie ihr auf den Rücken, wenn er die Beifahrertür öffnete und sie hineinschob. Gloria schien das zu gefallen.
Stephen hatte eine hohe, quietschende Stimme, abstehende Ohren und Haar, das wie Stroh am Kopf zu kleben schien, aber er war trotzdem ganz nett. Manchmal durften sie mit uns ins Kino gehen, sie waren beide sehr wohlerzogen.
An Glorias zwanzigstem Geburtstag im September lud ich sie in Brunton's Café auf Long Hill ein, wo wir uns vollfraßen: Grillwurst mit Kartoffelpüree, geschmorte Butterbohnen, gefolgt von Biskuitrolle mit Vanillesoße. Da es ein Wochentag war, konnte Matthew nicht dabei sein, aber Gloria zeigte mir das Medaillon, das er ihr bereits vorher geschenkt hatte. Es war wunderschön: aus dunklem Gold, ihrer beider Namen verschlungen zu einem Herz, darin eine Fotografie der beiden, die aus einem Hochzeitsfoto geschnitten worden war. Nach dem Essen liefen wir mit vollen Bäuchen zum Lyceum, wo wir uns Mädchen im Rampenlicht mit Jimmy Stewart und Lana Turner ansahen. Der Film war so eindrucksvoll, dass ich mich am nächsten Tag an keine einzige Melodie erinnern konnte.
Er war natürlich Glorias Wahl gewesen. Leider hätten unsere Geschmäcker unterschiedlicher nicht sein können. Gloria gefielen hohle Hollywood-Musicals und romantische Komödien mit hübschen Stars und gut aussehenden Hauptdarstellern, während ich Filme mit etwas mehr Substanz bevorzugte, beispielsweise die Verfilmung von Klassikern. Oft blieb ich lieber zu Hause und lauschte den Dramen im Home Service, besonders gut gefielen mir Elizabeth Gaskells Cranford und William Thackerays Jahrmarkt der Eitelkeiten.
Aber Gloria hatte ja Geburtstag. Sie bevorzugte das Lyceum mit den roten Plüschsesseln und der Orgel, die langsam und majestätisch durch eine Tür im Boden hochgefahren wurde. Dahinter saß dann der berühmte Teddy Marston und spielte »The White Cliffs of Dover«, »Shine On Victo-ry Moon« oder ein ähnlich patriotisches Stück. Wenn sie diesen Melodien lauschte, standen Gloria Tränen in den Augen. Dann erloschen langsam die Lichter und der schwere rote Samtvorhang teilte sich.
Manchmal begleiteten Alice, Cynthia und Betty uns ins Kino, gelegentlich sogar Michael Stanhope. Auf dem Heimweg erfreute er uns oft mit seinen boshaften kritischen Kommentaren, doch enttäuschte er mich, weil er eher Glorias Filme bevorzugte als solche, die etwas gehaltvoller waren. Immerhin besaß er den Anspruch, ein ernsthafter Künstler zu sein.
Oft fragte ich mich, was für Gesprächsthemen er und Gloria hatten, wenn sie zusammen im Shoulder of Mutton trinken gingen. Ich war selbstverständlich noch zu jung, um sie zu begleiten (nicht dass sie mich je einluden). Ich schätze, sie führten lange, anspruchsvolle Unterhaltungen über die tiefere Bedeutung von Hollywood-Musicals.
Matthew und Gloria versuchten, Bridge Cottage so gut wie möglich einzurichten. Zu der Zeit hatte die Regierung die Herstellung von Möbeln noch nicht verboten, aber dennoch waren die guten Stücke entweder teuer oder nicht zu bekommen. Die einfachsten Dinge musste man sich organisieren: Gardinenstangen oder Kleiderhaken.
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