Inspector Alan Banks 11 Kalt wie das Grab
einzige mögliche Verdächtige, den sie bisher hatten, obwohl Riddle vermutlich Recht hatte mit der Annahme, dass Emily lebend für Clough viel wertvoller gewesen wäre. Trug Banks Scheuklappen, wenn es um Clough ging, oder nahm er die Sache zu persönlich, wovor Gristhorpe ihn gewarnt hatte? Das glaubte er nicht. Er wusste, dass es für Clough keinen Sinn ergab, Emily zu töten, nachdem er sie gerade dazu benutzt hatte, ihren Vater zu erpressen. Aber Banks war sich sicher, dass ihm etwas entgangen war, ein Blickwinkel, den er noch nicht in Betracht gezogen hatte. Die einzige Erklärung, die er gefunden hatte, selbst jedoch nicht recht glauben konnte, war, dass Clough eine Art Psychopath war und sich nicht hatte bremsen können. Wenn das der Fall wäre, hätte Clough aber mit Sicherheit dafür gesorgt, zuzusehen und an dem Mord an Emily teilnehmen zu können.
Craig Newton und Ruth Walker waren zusammen gekommen; sie standen verwirrt und etwas jämmerlich im Regen, während der Vikar den dreiundzwanzigsten Psalm intonierte. Banks fing ihren Blick auf. Craig nickte kurz, Ruth schaute böse.
»Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum stillen Wasser.« An diesem Morgen war nichts Grünes an den Auen der Dales - alles, vom Himmel über die Häuser bis zu den ungleichmäßig geformten Feldern und Trockenmauern, war schiefergrau oder schlammig braun -, und auch der Swain war alles andere als still, rauschte über eine Reihe kleiner Wasserfälle neben dem Friedhof und übertönte, zusammen mit dem Wind, der wie eine Stockhausenkomposition durch die Lücken der Trockenmauern pfiff, fast die Worte des Vikars. Der Wind trieb den Regen auch quer über den Friedhof, und die Trauergäste schienen sich so tief in ihre dicken Mäntel, Handschuhe und Mützen zu verkriechen wie nur möglich.
Zumindest benutzte der Vikar die alte Version, fiel Banks auf. »Der Herr ist mein Hirte; daher fehlt es mir an nichts«, klang flach, nicht anders als »wie in einem Spiegel, undeutlich«, dachte er. Banks ging nicht oft zur Kirche, erinnerte sich aber an die kraftvolle Kirchensprache seiner Jugend, gegen die alles andere abfiel. Er hatte zwar die Hälfte nicht verstanden, weder damals noch jetzt, aber darauf war es ihm nie angekommen. Religion, dachte er, war sowieso ein einziges Kauderwelsch. Gesänge, Mantras, was auch immer. Tröstliches Kauderwelsch in diesem Fall, obwohl sich niemand täuschen ließ. Rosalind Riddle tupfte sich die Augen hin und wieder mit einem Taschentuch ab, Benjamin stand neben ihr und schaute verwirrt, und ihr Mann sah aus, als hätte er sich die ganze Nacht mit seinem Gewissen herumgeplagt.
Als Banks auf dem Weg zum Grab kurz Riddles Blick auffing, schaute der schuldbewusst weg. Dazu hatte er auch allen Grund, dachte Banks, der immer noch leicht verärgert war, weil Riddle die Ermittlungen behindert hatte. Doch nach dem Gespräch mit Riddle am vorherigen Abend hatte auch Banks erkannt, dass er zu viele Dinge verborgen gehalten hatte; er hatte Annie zuerst nichts von dem Treffen mit Emily gesagt und ihr auch immer noch nicht von der Nacht im Hotel erzählt. Mit ein bisschen Glück würde sie es nie erfahren. Natürlich konnte er seine Versäumnisse viel einfacher begründen, als die von Riddle, aber er verstand zumindest, warum Riddle ihm gegenüber nicht hatte zugeben wollen, dass er sich mit dem Liebhaber seiner Tochter zum Essen getroffen hatte, einem Mann, der darüber hinaus auch noch im Ruf stand, ein Krimineller zu sein. Wäre Riddle auf Cloughs Forderungen eingegangen, um sich und Emily zu schützen? Was für eine Art Mann war er, wenn es zum Äußersten kam? Jetzt würde er nie die Möglichkeit haben, das herauszufinden. Tugend kann sich nur beweisen, wenn sie auf dem Prüfstand steht.
»Und ob ich auch wanderte durch das Tal der Todesschatten ...« Das Tal der Todesschatten war ein Ausdruck, der Banks stets bewegt hatte, bei dem ihm Schauder über den Rücken gelaufen waren, obwohl er nur schwer hätte erklären können, was es für ihn bedeutete. In der neuen Übersetzung fehlte auch das. Banks dachte an den armen Graham Marshall vor all den Jahren, wie er durch das Tal der Todesschatten gewandert war. Seine Leiche war nie gefunden worden, daher hatte er auch kein Begräbnis bekommen wie Emily. In der Schule hatte es eine Art Trauerfeier gegeben, erinnerte sich Banks, oder eine Gedenkfeier, er war sich da nicht mehr
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