Inspector Alan Banks 11 Kalt wie das Grab
Egal, wohin.
Die Nacht war kalt, und sie drehte die Heizung voll auf. Trotzdem dauerte es eine Weile, bis das Auto warm wurde. Der Nebel gefror auf den kahlen Bäumen und glitzerte im Scheinwerferlicht, das über Äste und Zweige huschte. Die dünne Eisschicht über den Pfützen knackte unter ihren Reifen.
Sie überquerte die schmale Brücke über den Rowan, zwischen den Stauseen von Harksmere und Linwood. Harksmere erstreckte sich kalt und dunkel nach Westen, und dahinter lag der Thornfield-Stausee, dessen Wasser die Ruinen von Hobb's End erneut bedeckte. Dort hatte Annie Banks kennen gelernt, gegen Ende des heißesten, trockensten Sommers seit Jahren. Er war den steilen Abhang hinuntergeschliddert und hatte wie ein Schaulustiger ausgesehen, und sie hatte ihn an der Brücke aufgehalten. Sie hatte ihre roten Gummistiefel angehabt und musste ein Anblick für die Götter gewesen sein.
Annie hatte es ihm nie erzählt, doch sie hatte von Anfang an gewusst, wer er war - sie hatte ihn erwartet -, aber sie wollte erst ein bisschen Spaß haben, darum hatte sie ihn an der Packpferdbrücke aufgehalten. Sein Verhalten hatte ihr gefallen. Er war nicht sauer geworden oder amtlich, hatte nur eine Bemerkung über Robin Hood und Little John gemacht. Danach, musste Annie zugeben, hatte sie ihm wenig Widerstand entgegengesetzt.
Und jetzt war er ihr direkter Vorgesetzter und hatte ihr Dinge verheimlicht.
Hinter dem alten Fliegerhorst bog Annie nach links und fuhr in das offene Heidemoor, das sich meilenweit bis nach Swainsdale erstreckte. Hier oben auf der nicht eingezäunten Straße kam der Vollmond hinter der dünner werdenden Wolkendecke hervor, und Annie sah, dass der Boden um sie herum mit Raureif bedeckt war. Das hatte eine fast unheimliche Schönheit, die gut zu ihrer Stimmung passte. Sie konnte stundenlang durch diese Mondlandschaft fahren, und ihr Kopf würde sich von all ihren Problemen befreien. Sie würde nur noch die Fahrerin sein, die durch das Weltall schwebte - das Steuer, das Auto nur eine Erweiterung ihres Seins, als würde sie über die Astralebene gleiten.
Nur wusste Annie inzwischen genau, wohin sie fuhr, wusste, dass diese Straße über das Heidemoor führte und hinunter durch das Dorf Gratly, in dem Banks wohnte.
Und sie wusste, dass sie, wenn sie an seine Einfahrt kam, dort einbiegen würde.
Banks füllte die Weingläser auf und setzte sich wieder. »Fangen Sie an«, sagte er.
Rosalind lächelte. »Sie werden es kaum glauben«, begann sie, »aber ich war nicht immer die langweilige, anständige Frau des langweiligen, anständigen Chief Constables.«
Banks schreckte bei ihrem Lächeln zusammen. Es glich so sehr dem von Emily, diese versteckte Mutwilligkeit, dieses Du wirst noch dein blaues Wunder erleben. »Das klingt wie der Anfang einer Geschichte«, sagte er.
»Ist es auch.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Zuerst muss ich etwas weiter ausholen. Ob Sie es glauben oder nicht, mein Vater war Pfarrer. Inzwischen ist er natürlich pensioniert. Ich bin in der Pfarrei eines kleinen Dorfes in Kent aufgewachsen, als einziges Kind, und meine Kindheit verlief relativ ereignislos. Was nicht heißen soll, dass sie schlecht war. Ich machte all die normalen Sachen, die Kinder machen. Ich war glücklich. Es passierte nur nicht viel. Man könnte sogar sagen, es war langweilig. Wie Philip Larkin es in seinem Gedicht beschreibt. Dann, Mitte der Siebzigerjahre, als ich sechzehn war, zogen wir in eine Pfarrei in Ea-ling. Oh", das war eine nette Gegend - nicht so hektisch wie die Innenstadt -, und die Gemeindemitglieder waren zum größten Teil gesetzestreue, einigermaßen wohlhabende Bürger.«
»Aber?«
»Aber die U-Bahn war nahe. Sie können sich nicht vorstellen, welche wunderbaren neuen Welten sich für eine leicht zu beeindruckende Sechzehnjährige eröffneten.«
Banks dachte, dass er das sehr wohl konnte. Als er mit achtzehn von Peterborough nach Notting Hill gezogen war, hatte sich sein Leben in vielfacher Weise verändert. Zum einen hatte er Jem kennen gelernt, der auf dem gleichen Flur wohnte, und hatte sich an den Rändern der Sechzigerjahre-Szene herumgetrieben, die sich bis weit in die frühen Siebziger erstreckte. Dabei hatte er die Musik mehr genossen als die Drogen. In der Hauptstadt herrschte eine Erregung und Dynamik, die Peterborough fehlte, und sicherlich auch in einer Pfarrei in Kent nicht zu finden war.
»Lassen Sie mich raten: Die
Weitere Kostenlose Bücher