Inspector Alan Banks 11 Kalt wie das Grab
selbst darauf gekommen«, sagte sie, »aber unsere Ehe war größtenteils eine Zweckehe. Er gab mir die Dinge, die ich haben wollte, und ich habe ihn in der Öffentlichkeit nicht in Verlegenheit gebracht. Ich bilde mir sogar ein, dass ich ihm bei seinem Aufstieg geholfen habe. Ansonsten gingen wir getrennte Wege.«
»Affären?«
»Jerry? Kann ich mir nicht vorstellen. Er hatte keine Zeit dazu. Er war mit seiner Arbeit und seinen politischen Ambitionen verheiratet.« Sie sah Banks direkt in die Augen. »Ich? Ein paar. Nichts Wichtiges. Alles sehr diskret. In letzter Zeit keine.«
Sie schwiegen beide. Ein Windstoß rüttelte an dem losen Fenster im ersten Stock. »Sie sagten, Sie wollten mit mir sprechen?«, fragte Banks.
»Ach, das hat nichts mit dem Mord zu tun. Tut mir Leid. Ich wollte Sie nicht in die Irre führen. Aber Sie scheinen den Eindruck zu haben, dass ich etwas verschweige, Ihnen nicht alles erzählt habe.«
Banks nickte. »Ja. Das glaube ich. Von Anfang an ging mir das so.«
»Sie haben Recht.«
»Und nun wollen Sie es mir erzählen?«
»Jetzt gibt es keinen Grund mehr, es nicht zu tun. Aber könnte ich erst noch ein Glas Wein haben?«
Annie machte sich zu Hause ein Gemüsecurry warm, setzte sich damit vor den Fernseher und hoffte, dass die flimmernden Bilder sie von ihrem Problem ablenken würden. Was nicht gelang. Anscheinend liefen nur Natursendungen, Nachrichten oder Sport, und nichts, was sie anschaute, nahm sie gefangen oder lenkte sie ab. Sie sah ihre magere Videosammlung durch und überlegte kurz, ob sie sich einen Film anschauen sollte, Doktor Schiwago oder den Zauberer von Oz, aber sie war zu aufgewühlt, um sich darauf zu konzentrieren.
Verdammter Banks, dachte sie, während sie das Geschirr spülte. Wie konnte er ihr das antun? Vielleicht hatte sie die Romanze zwischen ihnen abkühlen lassen, aber das gab ihm nicht das Recht, sie wie eine Polizistin auf Probe zu behandeln, der man nicht die ganze Geschichte anvertrauen konnte. Sie wusste, dass seine Handlungen im technischen Sinne keineswegs falsch gewesen waren, aber sie waren unaufrichtig und feige. Als Ermittlungsleiter hatte Banks jedes Recht, eine Spur zu verfolgen und zu entscheiden, ob etwas unternommen werden sollte oder nicht. Offensichtlich wusste er genau, was in jener Nacht mit Emily Riddle geschehen war, und sah keine Veranlassung, weitere Schritte zu unternehmen.
Ihm musste auch klar gewesen sein, dass er die Wahrheit vor Annie verbarg, sonst hätte er ihr von der Nacht erzählt, als er ihr schließlich von seiner Suche nach Emily in London und dem Treffen am Tag ihres Todes berichtet hatte. Annie erinnerte sich, dass sie ihn gefragt hatte, ob das alles sei, und er hatte ja gesagt. Das machte ihn zum Lügner.
Was sollte sie also tun? Das war die Frage, mit der sie sich herumquälte. So wie sie es sah, hatte sie zwei Möglichkeiten; einerseits gar nichts zu tun, nur eine Versetzung zu beantragen und den ganzen Schlamassel hinter sich zu lassen. Das hatte sicherlich seinen Reiz, ließ aber zu vieles ungeklärt. Sie hatte sich schon viel zu lange vor unangenehmen Dingen versteckt und ihnen den Rücken zugekehrt. Jetzt, wo ihr Beruf ihr endlich wieder etwas bedeutete, nach den Jahren apathischen Exils in Harkside, wo sie sich eingeredet hatte, dass die Welt in Ordnung sei, wollte Annie alles wieder aufs rechte Gleis bringen. Und wie würde eine abrupte Versetzung aussehen, wo ihre Prüfung zum Inspector so kurz bevorstand?
Andererseits konnte sie Banks zur Rede stellen und herausfinden, was er selbst dazu zu sagen hatte. Vielleicht sollte sie im Zweifelsfall zu seinen Gunsten entscheiden, ihn für unschuldig halten, bis das Gegenteil bewiesen war und so weiter. Sie konnte schließlich nicht leugnen, dass sie immer noch Gefühle für den Dreckskerl hegte.
Aber sie wusste bereits, dass er nicht unschuldig war und es nur darum ging, wessen er sich schuldig gemacht hatte. Inwieweit würde ein Streit mit Banks Einfluss auf ihre Beförderung zum Inspector haben? Sie hielt ihn nicht für rachsüchtig, glaubte nicht, dass er sich ihr absichtlich in den Weg stellen würde, aber alles hat Auswirkungen, besonders angesichts der Geschichte, die Banks und Annie verband.
Annie schaltete den Fernseher aus und tat das, was sie für gewöhnlich machte, wenn sie zu aufgewühlt war und nicht zur Ruhe kommen konnte: Sie zog ihre warme Jacke an, setzte sich ins Auto und fuhr los.
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