Inspector Alan Banks 11 Kalt wie das Grab
Kindheit lag noch zu kurz zurück, um deren Wert zu erkennen. Wenn man in Emilys Alter war, erinnerte sich Banks, wollte man nur diese magische Welt der Privilegien und der Freiheit betreten, die man um sich herum sah - die Welt der Erwachsenen. Daher das Rauchen, das Trinken, der Sex. Man erkannte erst sehr, sehr viel später - zu spät, wie manche sagen würden -, dass die Privilegien und die Freiheit einen sehr hohen Preis hatten.
»Haben Sie sich schon entschieden?«, fragte sie.
»Für was entschieden?«
»Was Sie essen wollen. Ich lade Sie ein. Hab ich Ihnen doch am Telefon gesagt.«
»Das ist nicht nötig.«
»Ich weiß. Daddy hat Sie wahrscheinlich schon gut dafür bezahlt, dass Sie mich nach Hause gebracht haben. Aber ich möchte es gerne.«
»Dann nehme ich das Thai Red Curry.« Banks bestellte normalerweise keine so exotischen Dinge in Pubs, aber der Black Bull hatte einen guten Ruf. »Und er hat mir nichts bezahlt.«
Sie hob die sauber gezupften Augenbrauen.
»Nur, damit Sie es wissen.«
Emily zögerte und sagte dann: »In Ordnung.« Sie winkte die Frau herbei, die am nächsten Tisch servierte, und gab ihre Bestellung auf. Die Frau runzelte die Stirn und entgegnete, Emily müsse an der Bar bestellen, und stakte davon.
»Dumme Kuh.« Emily verzog das Gesicht. Wieder ganz das Kind.
Banks schob seinen Stuhl kratzend über den Steinboden zurück. »Ich mach das schon.« Er wollte nicht, dass sie noch mal die sicherlich schmerzhafte Prozedur des Hinsetzens durchmachen musste. Bei diesen engen Jeans würde sie sich vielleicht die Milz oder die Blase einquetschen.
»Nein.« Mit erstaunlicher Agilität sprang sie auf. »Ich hab gesagt, dass ich Sie einlade.«
Banks sah ihr nach, wie sie zur Bar ging, auf ihren Plateausohlen noch größer, als sie schon war, und bemerkte, dass die Augen aller Männer ihr folgten. Hier gab es keinen, der nicht alles für sie getan hätte. Oder mit ihr. Die Frauen wandten sich jedoch angewidert ab und warfen missbilligende Blicke in Banks' Richtung. Wieso zum Teufel, fragte sich Banks, saß er hier in diesem Pub zusammen mit der Tochter des Polizeipräsidenten, die mit ihrem Drink eindeutig das Jugendschutzgesetz brach - selbst wenn Kahlua mit Cola kein echter Drink war - und Gott weiß welche Gesetze sonst noch, allein mit ihrem Aussehen? Zum Glück konnte man die Männer nicht wegen ihrer Fantasien verhaften. Noch nicht.
»Geschafft.« Emily setzte sich wieder und fischte die Zigarette aus dem Aschenbecher. »Zumindest bringen sie es einem an den Tisch. Man muss nicht aufstehen und es selbst holen. Also wirklich, die Dienstleistung in diesem Land lässt schwer zu wünschen übrig.«
Banks überlegte, wie viele andere Länder sie wohl kannte, und machte sich klar, dass sie vermutlich mehr herumgekommen war als seine Tochter. Polizeipräsidenten reisen ständig auf Kosten des Steuerzahlers nach Amerika, Belgien, Südafrika oder Peru. Er fragte sich, ob der Service in Peru besser war als in Yorkshire. Vermutlich.
»Was essen Sie?«, fragte er.
»Ich? Nichts. Ich esse mittags nichts.«
»Und abends auch nicht, so wie Sie aussehen.«
»Na, na. Erinnern Sie sich, in dem Hotelzimmer hatten Sie nichts gegen mein >Aussehen<.«
Also hatte sie es nicht vergessen. Banks merkte, wie er rot wurde, und es wurde noch schlimmer, als er sah, dass Emily ihn auslachte. »Hören Sie ...«, sagte er, aber sie winkte ab.
»Keine Bange. Ich hab Daddy nichts erzählt.« Sie spitzte den Mund und wackelte mit den Schultern. »Außerdem ist es dieses Elfenhafte. Den meisten älteren Männern gefällt das. Ihnen nicht?«
»Was ist mit den Jungs in Ihrem Alter?«
Sie schnaubte. »Die sind so unreif. Naja, sie sind gut zum Tanzen und Drinkskaufen, aber das ist auch alles. Die meisten können nur über Fußball und Sex reden.« Sie leckte sich über die kirschroten Lippen. »Ich ziehe Ältere vor.«
Banks schluckte. Er begriff, woher das kam: ein Vater, der nie da war, jemand, den sie verzweifelt lieben und von dem sie geliebt werden wollte. »Wie Barry Clough?«, fragte er.
Ein Schatten huschte über ihre feinen Porzellanzüge. »Das ist einer der Punkte, über den ich mit Ihnen sprechen wollte«, sagte sie. Dann erhellte sich ihr Gesicht zu einem Lächeln. »Aber zuerst möchte ich Ihnen wirklich danken. Das meine ich ernst. Ich weiß, ich war nicht sehr nett zu Ihnen, aber ich finde es
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