Inspector Alan Banks 12 Wenn die Dunkelheit fällt
hat ihn entdeckt ...«
»Aber warum hat sie das vorher nie gemacht, Jenny? Warum ist sie vorher nicht runtergegangen?«
»Aus Angst. Es hört sich an, als hätte sie Angst vor ihrem Mann. Du siehst ja, was passiert ist, als sie es schließlich doch getan hat.«
»Ich weiß. Aber Kimberley Myers war das fünfte Opfer, verdammt noch mal. Das fünfte. Warum hat Lucy so lange gebraucht, bis sie was gemerkt hat? Warum ist sie diesmal aufgewacht und auf die Suche gegangen? Sie hat gesagt, sie wäre nie in den Keller gegangen, hätte sich nicht getraut. Was war diesmal anders?«
»Vielleicht wollte sie es vorher nicht wissen. Vergiss nicht, es sieht aus, als ob Payne langsam schlimmer wurde, sich nicht mehr beherrschen konnte. Ich nehme an, dass er zusehends labiler wurde. Vielleicht konnte selbst sie dieses Mal nicht wegsehen.«
Nachdenklich zog Banks an seiner Zigarette und stieß den Rauch aus. »Meinst du?«
»Möglich ist es, oder? Wenn sich ihr Mann vorher seltsam benommen hat, hat sie vielleicht vermutet, dass er irgendein furchtbares geheimes Laster hat, und so getan, als wäre nichts. So wie die meisten von uns mit unangenehmen Dingen umgehen.«
»Sie einfach unter den Teppich kehren?«
»Vogel Strauß spielen. Den Kopf in den Sand stecken. Ja. Warum nicht?«
»Wir sind uns also einig, dass es eine ganze Reihe von Erklärungen für das gibt, was passiert ist, und dass Lucy Payne unschuldig sein könnte?«
»Worauf willst du hinaus, Alan?«
»Ich möchte, dass du tief in Lucy Paynes Leben eintauchst. Ich möchte, dass du so viel wie möglich über sie in Erfahrung bringst. Ich möchte ...«
»Aber ...«
»Nein, lass mich ausreden, Jenny! Ich möchte, dass du sie in- und auswendig kennen lernst, ihren Hintergrund, ihre Kindheit, ihre Familie, ihre Fantasien, Hoffnungen, Ängste.«
»Immer mit der Ruhe, Alan. Wozu soll das alles gut sein?«
»Vielleicht stolperst du über etwas, das sie mit den Morden in Verbindung bringt.«
»Oder sie freispricht?«
Banks streckte die Hände aus. »Wenn du so was findest, auch gut. Ich bitte dich nicht, dir was aus den Fingern zu saugen. Grab einfach mal nach!«
»Selbst wenn ich das tue, kann es sein, dass nichts dabei herauskommt.«
»Macht nichts. Dann haben wir es wenigstens versucht.«
»Ist das nicht die Aufgabe der Polizei?«
Banks drückte seine Zigarette aus. »Nicht unbedingt. Ich suche nach einer Einschätzung, nach einem umfassenden psychologischen Steckbrief von Lucy Payne. Natürlich werden wir alle Spuren überprüfen, über die du stolperst. Ich erwarte nicht von dir, Kommissar zu spielen.«
»Na, da bin ich aber froh.«
»Überleg doch mal, Jenny! Wenn sie schuldig ist, dann hat sie sich nicht einfach Silvester aus heiterem Himmel überlegt, jetzt helf ich meinem Mann, junge Mädchen zu entführen und zu töten. Dann muss es eine Pathologie geben, eine ältere psychologische Störung, ein anormales Verhaltensmuster, oder?«
»Normalerweise ja. Aber selbst wenn ich herausfinde, dass sie Bettnässer war, gerne herumgezündelt oder Fliegen die Flügel herausgerissen hat, hast du immer noch nichts in der Hand, das du vor Gericht gegen sie verwenden kannst.«
»Wenn jemand bei einem Feuer verletzt wurde, dann schon. Wenn du auf andere mysteriöse Zwischenfälle in ihrem Leben stößt, die wir verfolgen können, dann schon. Mehr verlange ich nicht von dir, Jenny. Dass du dich an die Psychopathologie von Lucy Payne machst und uns Bescheid gibst, sobald du etwas entdeckst, das wir uns näher ansehen sollen. Dann machen wir das.«
»Und wenn ich nichts finde?«
»Dann eben nicht. Aber so weit sind wir jetzt auch schon.«
Jenny trank noch einen Schluck Wein und dachte eine Weile nach. Alan steigerte sich da so hinein, dass sie sich genötigt fühlte. Sie wollte ihm nicht einfach gehorchen. Dennoch weckte sein Anliegen ihre Neugier. Sie konnte nicht leugnen, dass das Rätsel Lucy Payne sie sowohl als Psychologin wie auch als Frau interessierte. Noch nie hatte sie Gelegenheit gehabt, die Psychologie eines mutmaßlichen Serienmörders aus solcher Nähe zu begutachten, und Banks hatte Recht: Sollte Lucy Payne in die Verbrechen ihres Mannes verwickelt sein, dann war sie nicht einfach aus dem Nichts aufgetaucht. Wenn Jenny tief genug wühlte, bestand die Möglichkeit, etwas in Lucys Vergangenheit zu finden. Schließlich ... nun, Banks hatte
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