Inspector Alan Banks 14 Kein Rauch ohne Feuer
voller Blut.
»Wer war das?«, fragte Banks.
»Wahrscheinlich seine Frau«, antwortete Blackstone. »Aber sie will nicht sprechen.«
»Frances?«, staunte Banks. »Und wo ist sie?«
»Auf dem Revier.«
»Und der Junge, Mark, war mit im Zimmer?«
»Ja.«
»Was hat er zu seiner Verteidigung vorzubringen?«
»Nichts. Hast du doch selbst gesehen. Ich glaube, er steht noch unter Schock. Wir werden etwas warten müssen, bis wir was von ihm erfahren.«
Eine Weile schwieg Banks und schaute sich um. Der Raum sah aus wie ein Schlachtfeld. Neben dem Stuhl entdeckte er eine zerschnittene Schnur. »Was ist das?«, wollte er wissen.
»Wir glauben, dass der Junge an den Stuhl gefesselt war.«
»Warum?«
»Wissen wir noch nicht. Aber Mrs. Aspern muss ihn befreit haben.«
»Und der Brand?«
»War kaum ausgebrochen, da hatte der Junge ihn schon wieder gelöscht. Siehst du ja.«
Blackstone wies auf eine verbrannte Stelle im Teppich, die bis zu dem Kämmerchen reichte, in dem die Patientenunterlagen verwahrt wurden. Die gestärkten weißen Laken auf der Untersuchungsliege waren ebenfalls angesengt.
»Und wer hat das Feuer gelegt?«
»Wahrscheinlich auch seine Frau.«
Frances Aspern. Vielleicht hatte irgendwas das Fass zum Überlaufen gebracht, dachte Banks. Wenn tatsächlich viele Jahre lang das geschehen war, was er vermutete, dann konnte er die Gefühle kaum ermessen, die sie unterdrückt hatte. Wie unberechenbar musste der Druck sie im Laufe der Jahre gemacht haben! Aber irgendetwas war der Auslöser gewesen. Irgendetwas war passiert. Vielleicht würden sie später mehr von Mark oder Frances erfahren.
Die Außentür ging auf, ein eiskalter Wind wehte herein. »Sorry, Jungs«, sagte der Fotograf und klopfte auf seine Pentax. »Das Video hab ich im Kasten, jetzt hab ich die Kamera aus dem Wagen geholt.«
Das Blutbad vor seinen Augen schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Das hatte Banks schon öfter beobachtet. Er wusste, dass viele Fotografen durch die Linse Distanz zum Geschehen bekamen. Für sie war der Tatort eine neue Aufnahme, ein Bild, eine Szenerie. Blut und Gedärme waren nicht echt. Reiner Selbstschutz.
Banks fragte sich, wie er selbst sich schützte, und merkte, dass er es eigentlich gar nicht tat. Er betrachtete Tatorte als das, was sie waren: Explosionen von Zorn, Hass, Gier, Sucht oder Leidenschaft, die einen Menschen verstümmelten oder aufrissen, die die fragile sterbliche Hülle platzen ließen. Banks hatte keine Methode, Distanz dazu aufzubauen. Dennoch konnte er nachts schlafen, dennoch kippte er nicht um oder kotzte sich die Seele aus dem Leib. Was sagte das über ihn aus? Sicher, er hatte keines der Opfer vergessen, er kannte sie noch alle, jung wie alt, und manchmal hatte er verstörende Träume oder konnte nicht einschlafen. Doch trotz allem lebte er damit. Was bedeutete das für ihn?
»Alan?« Ken Blackstone sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Alles in Ordnung bei dir?«
»Ja, schon gut.«
»Willst du auf meine Couch?«
»Warum nicht«, erwiderte Banks seufzend. »Bis zu mir ist es verdammt weit, und ich bin fix und fertig. Hast du vernünftigen Whisky zu Hause?«
»Ein, zwei Glas Bell's kann ich wohl auftreiben.«
»Das ist doch was. Dann überlassen wir das hier Inspector Bridges. Und morgen bringen wir Ordnung in dieses Durcheinander.«
Trotz leichter Kopfschmerzen und einer fast schlaflosen Nacht war Annie früh im Büro. Nachdem Phil sie vor der Tür des Präsidiums in Eastvale abgesetzt hatte, holte er die Turner-Bilder ab und fuhr nach London. Im Großraumbüro machte Annie sich eine Tasse starken Kaffee und setzte sich an den Papierkram, den sie sträflich vernachlässigt hatte. Gerade begann sie an der frühmorgendlichen Stille Gefallen zu finden, als das Gebäude zum Leben erwachte. Als Erstes tauchte Constable Rickerd auf, gefolgt von Win-some. Dann erschienen Kevin Templeton und die anderen und setzten sich an die verschiedenen Aufgaben und Details dieser großen Ermittlung. Es war Annie peinlich, dieselbe Kleidung zu tragen, in der sie am Vorabend essen gewesen war, aber es fiel niemandem auf, jedenfalls sagte niemand etwas. Banks war eh nicht da. Sie konnte sich gut vorstellen, was für einen Blick er ihr zuwerfen würde. Manchmal hatte sie das Gefühl, er könne riechen, wenn sie Sex gehabt hatte, auch wenn sie noch so lange geduscht hatte.
Es war
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