Inspector Alan Banks 14 Kein Rauch ohne Feuer
wollte ihm nur mitteilen, dass sie ihn an diesem Wochenende nicht würde sehen können, da sie ein vermisstes Kind suchten und Überstunden machten. Banks konnte das nur zu gut verstehen. Vermisste Kinder waren das Schlimmste, was einem Polizisten passieren konnte - ein Albtraum. Er hatte Michelle durch den Fall des vermissten Graham Marshall kennen gelernt. Graham war Banks' Freund aus Kindertagen gewesen. Man hatte seine Gebeine im vergangenen Sommer, mehr als fünfunddreißig Jahre nach seinem Verschwinden, in Peterborough gefunden.
Obwohl Banks ebenfalls arbeiten musste, war er dennoch enttäuscht. In letzter Zeit platzten ihre Verabredungen immer häufiger, sodass Michelle und er sich in den ersten Stunden ihres Wiedersehens wie Fremde benahmen. Auf diese Weise konnte man keine Beziehung führen. Zum einen die räumliche Entfernung, die langen Fahrten im Winter durch Nebel, Hagel oder Regen, zum anderen der Job, die unvor-hersagbaren Arbeitszeiten. Manchmal fragte Banks sich, ob ein Bulle überhaupt etwas anderes als oberflächliche und anspruchslose Beziehungen führen konnte.
In den vergangenen Monaten hatte er mehr als einmal darüber nachgedacht, wie sich die Geschichte mit Michelle entwickeln würde. Sie trafen sich, wenn sie frei hatten, genossen die gemeinsame Zeit, hatten wunderbaren Sex. Aber immer hatte er das Gefühl, dass Michelle etwas vor ihm verbarg. Die meisten Menschen waren zurückhaltend, er selbst eingeschlossen, aber bei Michelle war es etwas anderes, es war, als trage sie eine große Last mit sich herum, die sie nicht teilen konnte oder wollte, und irgendwie gab das ihrer Freundschaft einen unangenehmen Beigeschmack.
Mit Annie hatte Banks eine tiefere Beziehung entwickelt. Genau das war das Problem gewesen, das Annie in die Flucht geschlagen hatte: die Intimität und Banks' noch vorhandene Gefühle für Sandra. Und die Kinder natürlich. Der Gedanke an Banks' Kinder schien Annie eine Heidenangst einzujagen. Michelle sprach nie von Kindern. Banks vermutete, dass sie irgendwann einmal sehr tief verletzt worden war. Annie war vergewaltigt worden, aber sie hatte ihm alles erzählt, hatte ganz offen darüber gesprochen. Michelle hingegen war einfach verschlossen.
Banks sah seine Post durch und freute sich über die ZuStellung von Gramophone und Mojo. Er goss sich einen Schuss zehn Jahre alten Laphroaig »Caskstrength« ein, den Hatchley ihm aus dem Duty-free-Shop mitgebracht hatte. Es war ein wirklich guter Tropfen, der sich tief in Zunge, Kehle und Magen festsetzte. Schon vom Aroma wurde einem schwummerig.
Wieder dachte Banks an Michelle. Fühlte er sich nur von emotional verletzten Frauen angezogen? Sah er sich als eine Art Heiler, eine Art Travis McGee? Banks musste an die Bücher denken, die er als Jugendlicher begierig gelesen hatte, dazu James Bond, Simon Templar, Sexton Blake und Modesty Blaise. Ein paar Tage mit dem guten alten Travis auf seinem Hausboot Busted Flush, und man war so gut wie neu. Aber wenn er sich so sah, dann machte er seine Arbeit nicht besonders gut, oder? Allerdings hatte jeder in seinem oder Michelles Alter ein oder zwei schwere emotionale, vielleicht sogar physische Schläge einstecken müssen. Besonders, wenn man Bulle war. Banks musste über sich selbst lachen, legte den Kopf in den Nacken und leerte das Glas.
Er rief bei Michelle an, aber sie war nicht da. Er hinterließ eine bedauernde Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter. Vielleicht nächstes Wochenende, sagte er, obwohl er bezweifelte, dass sich ihre beiden Fälle bis dahin halbwegs geklärt hatten.
Immerhin hatte er eine gute Nachricht erhalten, als er nach seiner Unterhaltung mit Maria Phillips auf der Dienststelle anrief: Die Leiche war definitiv die von Thomas McMahon. In Molesby, dem nächstgelegenen Dorf zu den Hausbooten, gab es nur einen Zahnarzt, und Constable Templeton hatte so viel gesunden Menschenverstand besessen, den Zahnabdruck als Erstes dort überprüfen zu lassen. Vor nicht mal einer Woche hatte Thomas McMahon eine Füllung bekommen.
Manchmal war es so einfach.
Es war kalt im Cottage. Banks überlegte, ob er ein Stück Torf in den Kamin legen sollte. Er ließ es aber, denn er würde bestimmt nicht lange genug wach sein, um etwas davon zu haben. Außerdem hatte die Vorstellung von Feuer, auch wenn es noch so unschuldig vor sich hin prasselte, heute irgendwie etwas Beängstigendes an sich. Er überprüfte, ob die Rauchmelder noch funktionierten.
Weitere Kostenlose Bücher