Inspector Alan Banks 15 Eine seltsame Affäre
jetzt, warum ich diese ganzen Fragen stelle. Es gibt hier zu viele Zusammenhänge und Parallelen, aber irgendetwas entgeht mir.«
»Ich glaube nicht, dass ich Ihnen helfen kann. Ich meine, ich habe gesehen, wie er mit ihr sprach, aber das machte er immer, mit Mädchen flirten. Und ich wusste, dass es eine andere gab. Ich habe nur nicht zwei und zwei zusammengezählt. Mein Schicksal.«
»Das konnten Sie doch gar nicht wissen. Das heißt also, Sie trennten sich von Roy, als Sie von Ihrer Schwangerschaft erfuhren?«
»Es passierte zum erdenklich schlimmsten Zeitpunkt.« Sie lachte bitter. »Wie das so ist.«
»Und Sie sprachen darüber und kamen überein, dass eine Abtreibung das Richtige sei?«
»Ja. Hören Sie, das hat nichts mit dem Rest zu tun. Kann es gar nicht. Es war eine persönliche Angelegenheit. Sie wollen doch nicht andeuten, dass ich ihn umgebracht habe, weil ich abgetrieben habe und er sich eine neue Freundin nahm, oder?«
»Natürlich nicht«, sagte Banks, obwohl ihm der Gedanke gekommen war. Zurückweisung und Eifersucht, dazu das emotionale Trauma einer Abtreibung - das konnte eine tödliche Mischung sein. Sie hatte es nicht selbst getan, das wusste Banks, aber vielleicht hatte sie genug Geld, um jemanden zu beauftragen, vielleicht wusste sie sogar, wie man so jemanden fand. Immerhin arbeitete sie als Steuerberaterin in der Medienwelt. Da gab es eine Menge Gauner und Prominente, die ihnen nahestanden. Aber Banks hatte die Idee so schnell wieder verworfen, wie sie gekommen war. Zurückgewiesene Partner wählen normalerweise eine direktere Methode, wie jeder Polizist bestätigen konnte, der schon mal zu einer Familienstreitigkeit gerufen worden war. »Roy riss die nächste Freundin auf, während Sie bei der Ärztin im Sprechzimmer saßen«, sagte Banks. »Wie fühlten Sie sich dabei?«
Corinne traten Tränen in die Augen. »Was glauben Sie denn?«, fragte sie. »Er war immer ein mieser Kerl. Das wusste ich. Trotzdem habe ich ihn geliebt.«
Jetzt gab es kein Halten mehr. Der Damm brach, es strömte nur so aus ihr heraus. Banks setzte sich neben Corinne aufs Sofa und legte den Arm um sie. Sie wies ihn nicht ab, sondern sackte gegen ihn, barg den Kopf an seiner schon feuchten Schulter und weinte hemmungslos. Banks hielt sie fest und strich ihr übers Haar. Nach einigen Minuten versiegten die Tränen. Sanft löste sie sich aus seiner Umarmung. Banks setzte sich wieder in den Sessel und nahm die Teetasse in die Hand. Der Tee war jetzt lauwarm, aber man konnte sich in den unangenehmen Minuten nach einem Gefühlsausbruch gut dahinter verstecken. Die Tasse klapperte auf der Untertasse.
Corinne holte Papiertaschentücher. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich hab noch nicht... Das hat sich alles in mir aufgestaut. Jetzt geht es mir besser.«
»Das freut mich«, entgegnete Banks, »und es tut mir leid, wenn ich ein wenig grob oder unsensibel war.«
»Das muss sehr frustrierend für Sie sein«, meinte Corinne. »Ich weiß ja, dass Roy und Sie sich nicht besonders nahestanden, aber ... Ich meine, er war schließlich Ihr Bruder.«
»Vielleicht hört sich das jetzt merkwürdig an«, begann Banks, »aber hat Roy Ihnen erzählt, dass er den Anschlag aufs World Trade Center miterlebt hatte?«
»Doch«, erwiderte Corinne. »Damals kannte ich ihn natürlich noch nicht, aber er hat erzählt, dass es ihn erschütterte. Er hatte monatelang Alpträume. Man kann sich kaum vorstellen, wie es gewesen sein muss.«
»Hat er mal mit Ihnen über Religion oder spirituelle Dinge gesprochen?«
»Nein, eigentlich nicht. Ich meine, er ging sonntags in die Kirche, und er sagte, er komme gut mit dem Pfarrer aus, aber mit unserem täglichen Leben hatte das nicht viel zu tun.«
»Sie interessieren sich nicht für Spirituelles?«
»Doch, soweit ich es nachvollziehen kann. Aber nicht für organisierte Religion. Sehen Sie sich doch das ganze Elend und Blutvergießen an, das Religion in der Geschichte verursacht hat. Bis heute.«
»Haben Sie sich manchmal darüber gestritten?«
»Ja, aber wir kamen immer irgendwann an einen toten Punkt. Wie so oft bei solchen Themen. Er meinte, das wäre nur eine Ausrede, es sei der Mensch selbst, der für Elend und Blutvergießen verantwortlich sei, ich fand, es wäre ein ganz schön hinterhältiger Gott, wenn er so allmächtig ist und das trotzdem geschehen lässt. Irgendwann haben wir das Thema einfach gemieden. Ich
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