Inspector Alan Banks 15 Eine seltsame Affäre
Sonnenstrahlen zurück. Annie war wieder froh, nicht mit dem Auto gekommen zu sein.
Die Frau, die ihr die Tür öffnete, sah aus wie Ende zwanzig, genauso alt wie Jennifer Clewes. Sie war eine extrem dünne, aber dennoch wohlgeformte Frau mit kleiner Brust, schmalen Hüften und zierlicher Taille. Sie trug eine kurze Jeanshose, die ihre langen schlanken Beine vorteilhaft zur Geltung brachte. Das pechschwarze Haar fiel ihr glatt bis auf die Schultern, sie hatte ein blasses ovales Gesicht mit großen braunen Augen, Stupsnase und vollen Lippen. Der rote Lippenstift bildete einen starken Kontrast zu ihrem blassen Teint. Annie hatte am Telefon nicht viel erzählt, aber Melanie Scott musste ahnen, dass etwas nicht stimmte. Sie war unruhig, rechnete mit dem Schlimmsten.
»Sie haben gesagt, es geht um Jenn«, begann sie und bot Annie einen Sessel im kleinen Wohnzimmer an. Das Fenster nach vorn war offen, man hörte Gesprächsfetzen und das Lachen vorbeigehender Menschen. Melanie saß auf der Stuhlkante und presste die gefalteten Hände zwischen die Knie. »Stimmt was nicht? Ist was passiert?«
»Es tut mir leid, Ms. Scott, aber Jennifer Clewes ist tot. Ich weiß leider nicht, wie ich Ihnen das schonender beibringen soll.«
Melanie starrte in die Ecke, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dann drückte sie die Faust gegen den Mund und biss hinein. Annie ging zu ihr, aber Melanie winkte ab. »Nein, schon gut. Wirklich. Ist nur der Schock.« Sie rieb sich die Augen, verschmierte die Wimperntusche auf den Wangen, nahm sich ein Kosmetiktuch aus einer Schachtel auf dem Kaminsims. »Sie sind bei der Polizei, das heißt, irgendetwas stimmt nicht, oder? Wie ist es passiert?«
Melanie konnte man nichts vormachen, merkte Annie und setzte sich wieder. »Sie wurde erschossen«, erklärte sie.
»Ach, du meine Güte! Sie ist die Frau, die in Yorkshire im Auto gefunden wurde, ja? Stand doch in der Zeitung und kam im Fernsehen. Sie haben gesagt, Sie kommen aus Yorkshire.«
»Ja, aus North Yorkshire.«
»Im Fernsehen wurde kein Name genannt.«
»Nein«, bestätigte Annie. »Wir mussten erst sicher sein. Ihre Eltern haben sie noch nicht identifiziert.« Annie überlegte, ob sie Melanie das Foto zeigen sollte, aber es war überflüssig, sie noch mehr zu quälen. Kate Nesbit hatte Jennifer bereits auf dem Bild wiedererkannt, die Eltern würden sie bald offiziell identifizieren.
»Ich kann's nicht glauben«, sagte Melanie. »Wer soll Jenn denn umbringen wollen? Irgend so ein Perverser? Wurde sie ...?«
»Sie wurde nicht sexuell missbraucht«, antwortete Annie. »Können Sie sich vorstellen, dass ihr jemand etwas antun wollte?«
»Nein, da fällt mir niemand ein.«
»Wann haben sie zuletzt mit Jennifer gesprochen?«
»Vor ein paar Tagen, am Mittwoch, glaube ich. Wir haben telefoniert. Gesehen habe ich sie seit zwei, drei Wochen nicht mehr. Wir hatten beide zu viel zu tun. Wir wollten nächstes Wochenende zusammen ins Kino gehen. Frauenabend. Ich kann es nicht glauben.« Sie tupfte sich die Augen.
»Wissen Sie, ob ihr irgendetwas Sorgen machte oder sie beschäftigte?«
»Ich hatte schon den Eindruck, dass sie bei unserem letzten Gespräch etwas besorgt war. Aber Jenn redet manchmal so viel von der Arbeit, da schalte ich auf Durchzug.«
»Hatte sie Ärger auf der Arbeit?«
»Eigentlich nicht. Sie hat aber von einer bestimmten Frau gesprochen. Eins von den späten Mädchen, sagte sie. Jenn arbeitete in einem Familienplanungszentrum.«
»Ich weiß«, entgegnete Annie. »Spätes Mädchen? Was soll das sein?«
»Keine Ahnung. So hat sie sich ausgedrückt.«
»Eine Kollegin? Aus der Spätschicht?«
»Glaub ich nicht. Die haben keinen Schichtdienst. Das Center ist nicht rund um die Uhr geöffnet. Aber Jenn hat manchmal mit den Patientinnen zu tun, wegen Anträgen und Rechnungen und so weiter, oder wenn es ein Problem gibt. Da war eine Frau ...«
Auf diese Weise hatte Jennifer auch Kate Nesbit kennengelernt, fiel Annie ein. »Können Sie sich an den Namen erinnern?«
»Mal sehen. Lassen Sie mich kurz nachdenken. Jenn hat sehr schnell gesprochen, deshalb bin ich mir nicht hundertprozentig sicher, aber es war ein komischer Name.« Melanie hielt inne und blickte aus dem Vorderfenster. Ein weißer Lieferwagen fuhr vorbei, verdeckte kurz die Sonne. »Ich glaube, sie hieß Carmen.«
»Mit Vornamen?«
»Ja. Carmen. Ich weiß noch, dass
Weitere Kostenlose Bücher