Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
ein Pommessandwich.
Er setzte sich ans Fenster, von dem man über den Hafen die Altstadt und die 199 Stufen sehen konnte, die zur Abteiruine und zur St. Mary's Church hoch führten, wo der salzige Wind die Grabsteine ihrer Namen beraubt hatte. Eine Gruppe schwarz gekleideter junger Gruftis mit weißen Gesichtern und aufwendigem Silberschmuck ging an den Schuppen vorbei, vor denen die Fischer ihre Boote entluden und ihren Fang verkauften.
Nach allem, was Banks über Gruftis und ihre Musik gelesen hatte, schienen sie sich mit Tod und Selbstmord zu beschäftigen, auch mit den Untaten und der »dunklen Seite« im Allgemeinen, doch waren es friedliche, unauffällige Jugendliche, die sich mit sozialen Fragen wie Rassismus und Krieg beschäftigten. Banks mochte die Gruppe Joy Division, die angeblich eine typische Grufti-Band sein sollte. Verglichen mit damals, fand er, waren Gruftis nicht seltsamer als die Hippies, die ebenfalls fasziniert waren vom Okkulten, von Lyrik und Erkenntnissen im Drogenrausch.
Das Jahr 1969 war für Banks eine Zeit großer Umbrüche gewesen. Nachdem er die Schule mit mehreren recht guten A-Level verlassen hatte, wohnte er in einem möblierten Zimmer in Notting Hill und belegte einen Kurs in Betriebswirtschaft. Aber mit seinen Kommilitonen hatte er nicht viel gemeinsam, deshalb trieb er sich lieber mit einer Clique vom Kunstkolleg herum, von denen zwei bei ihm im Haus wohnten. Erst diese Leute führten ihn richtig ein in die sonderbare Mischung aus Existenzialismus, Kommunalismus, Hedonismus und Narzissmus. Das kam ziemlich spät für ihn und blieb sein Beitrag zur Kultur der späten Sechziger. Die Kunststudenten kifften mit Banks und seinem Freund Jem von gegenüber, sie gingen gemeinsam zu Konzerten und Lyriklesungen, diskutierten über Vietnam und Oz und die Rechte von Hausbesetzern und sahen sich immer wieder Alice's Restaurant an.
Banks hatte keine Vorstellung gehabt, was er mit seinem Leben anfangen sollte. Seine Eltern hatten ihm zu verstehen gegeben, dass er es mit einem geregelten Bürojob versuchen sollte, statt in einer Ziegelsteinfabrik oder einer Metallblechfabrik zu enden wie sein Vater. Daher schien BWL die logische Schlussfolgerung. Außerdem wollte Banks unbedingt der muffigen Provinzialität von Peterborough entfliehen.
Banks liebte Musik und trampte im Sommer jenes Jahres - da wohnte er noch bei seinen Eltern in Peterborough - mit seiner ersten richtigen Freundin, Kay Summerville, zum Konzert von Blind Faith im Hyde Park. Und er besuchte das Rolling-Stones-Konzert zum Gedenken an Brian Jones, wo Mick Jagger all die eingefangenen Schmetterlinge fliegen ließ, die noch nicht vor Hitze eingegangen waren. Auch konnte Banks sich an Dylan auf der Isle of Wight erinnern, der bei seinem späten Auftritt »She Belongs to Me« und »To Ramona« gesungen hatte, zwei von Banks' Lieblingsliedern.
Aber in Peterborough war er ziemlich abgeschnitten gewesen von der angesagten Mode, den Fragen und Ideologien der Zeit. Peinlich wenig hatte er darüber gewusst, was wirklich vor sich ging. Bei all den hochgejubelten Veränderungen und Revolutionen jenes Jahrzehnts war es eine gesunde Lektion, nicht zu vergessen, dass »Release Me« von Engelbert Humperdinck »Strawberry Fields Forever« daran hinderte, Nummer eins zu werden. Und wenn man in Peterborough aufgewachsen war, dann kannte man auch den Grund dafür.
Im ersten Jahr am College hatte Banks voller Schrecken die Saga der Manson-Familie verfolgt, die schließlich wegen Mordes an Sharon Tate, Leno LaBianca und anderen verurteilt wurde. Das war inzwischen natürlich alles in die Geschichtsbücher eingegangen, aber als damals Tag für Tag in den Zeitungen und im Fernsehen die Story ans Licht kam und der wahre Schrecken ersichtlich wurde, hatte das alles eine ungeheure Wirkung, nicht zuletzt weil die Manson»-Familie« an Hippies erinnerte und die Beatles und Revolutionssprüche zitierte. Da waren ja noch die Mädchen, Mansons »Liebessklavinnen« mit so sonderbaren Namen wie Patricia Krenwinkel, Squeaky Fromme und Leslie Van Houten. So wie sie sich kleideten und ihr Haar trugen, hätten sie ohne weiteres in Notting Hill leben können. Das berühmte Foto des bärtigen Manson mit dem irren Blick hatte bei Banks fast genauso viele Alpträume ausgelöst, wie das von Christine Keeler nackt auf dem Stuhl für feuchte Träume gesorgt hatte.
Altamont war auch Ende 1969 gewesen, fiel Banks wieder ein. Da war bei einem
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