Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
dreißig Jahren erstreckten. Sein Mut sank, und innerlich verfluchte er Nick Barber, weil er in seinen Notizen nicht deutlicher gewesen war. Banks war klar, dass dies der entscheidende Hinweis sein konnte, nach dem er suchte, vielleicht der einzige, den Nick hinterlassen hatte. Banks hatte das Gefühl, noch nie so weit von einer Lösung entfernt gewesen zu sein wie in diesem Moment.
Als Banks am Nachmittag den Kopf durch die Tür zum Großraumbüro steckte und Annie sagte, Ken Blackstone habe Yvonne Chadwick aufgetrieben, die Tochter von Stanley Chadwick, hatte sie ihre Unstimmigkeit mit Banks bereits wieder vergessen. Ob Annie vielleicht Lust habe, ihn bei der Befragung zu begleiten? Das musste man sie nicht zweimal fragen. Scheiß auf Superintendent Gervaise, dachte Annie, und griff zu Jacke und Aktentasche. Sie merkte, dass Kev Templeton ihr einen bösen Blick zuwarf. Vielleicht zeigte Madame Gervaise ihm bereits die kalte Schulter, da selbst die Lokalnachrichten schon gemeldet hatten, was mit Kelly Soames geschehen war.
Banks schwieg, als Annie den Zivilwagen, für den sie sich eingetragen hatte, aus der Polizeigarage fuhr. Mehrmals sah sie ihn von der Seite an und merkte, dass er nachdachte. Nun, das war ein gutes Zeichen. »Ich habe mir übrigens die Website der Mad Hatters angesehen«, bemerkte sie.
»Und?«
»Da finden sich auf jeden Fall Erklärungsmöglichkeiten für die Zahlen hinten im Buch. Es gibt Links zu anderen Fanseiten mit Tourdaten und allen möglichen esoterischen Informationen. Um das alles nachzuprüfen, brauche ich aber noch mehr Zeit.«
»Vielleicht wenn wir zurückkommen.«
»Ja, klar.«
Yvonne Chadwick beziehungsweise Reeves, wie sie jetzt hieß, wohnte am Stadtrand von Durham, was über die A1 nicht allzu weit von Eastvale entfernt war. Auf der Landstraße waren wie immer viele
Lkws, und mehrmals waren wegen unvermeidlicher Straßenbauarbeiten eine oder zwei Spuren gesperrt, sodass der Verkehr nur langsam vorankam. Kurz sah Annie Durham Castle oben auf dem Berg, dann folgte sie der Wegbeschreibung, die Banks für sie notiert hatte.
Sie hielten vor einer Doppelhaushälfte mit Erker im Erdgeschoss in einer angenehmen grünen Gegend, wo man bedenkenlos die Kinder auf der Straße spielen lassen konnte. Yvonne Reeves entpuppte sich als eine ziemlich mollige, nervöse Frau von ungefähr fünfzig Jahren, die einen grauen Bauernrock und einen unförmigen braunen Pulli trug. Wenn sie sich etwas schicker kleiden würde, wäre sie sehr viel attraktiver, dachte Annie. Das lange ergrauende Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Im Haus war es sauber und ordentlich. An den Wänden standen Bücherregale, fast ausschließlich gefüllt mit Fachliteratur, Philosophie und Jura, nur wenig Belletristik. Das Wohnzimmer war ein wenig eng, aber ganz gemütlich, nachdem sie erst einmal in den Ledersesseln Platz genommen hatten. Es fiel nicht viel Licht von außen herein, und es roch nach dunkler Schokolade und alten Büchern.
»Das ist alles sehr interessant«, sagte Yvonne. In ihrer Stimme hörte man noch leichte Spuren des Yorkshire-Dialekts, doch die auffälligen Merkmale hatten sich im Laufe der Jahre abgeschliffen. »Aber ich habe überhaupt keine Ahnung, warum Sie glauben, dass ich Ihnen helfen könnte. Um was geht es überhaupt?«
»Haben Sie vom Tod eines Musikjournalisten namens Nick Barber gehört?«, fragte Banks.
»Ich meine, etwas in der Zeitung gelesen zu haben«, sagte Yvonne. »Wurde er nicht irgendwo in Yorkshire ermordet?«
»In der Nähe von Lyndgarth«, sagte Banks.
»Ich verstehe immer noch nicht.«
»Nick Barber arbeitete an einer Geschichte über eine Band namens Mad Hatters. Kennen Sie die noch?«
»Du lieber Himmel! Ja, natürlich.«
»Im September 1969 gab es ein Open-Air-Konzert in Brimleigh in North Yorkshire. Erinnern Sie sich daran? Damals müssen Sie ungefähr fünfzehn Jahre alt gewesen sein.«
Yvonne klatschte in die Hände. »Sechzehn. Ich war da! Eigentlich durfte ich nicht, aber ich bin trotzdem hingefahren. Mein Vater war furchtbar streng. Er hätte es niemals erlaubt.«
»Dann wissen Sie vielleicht auch noch, dass nach dem Konzert ein junges Mädchen tot aufgefunden wurde. Sie hieß Linda Lofthouse.«
»Natürlich weiß ich das noch. Das war ein Fall meines Vaters. Er klärte ihn auf.«
»Ja. Der Täter war ein Mann namens McGarrity.«
Annie merkte, dass Yvonne
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