Inspector Alan Banks 16 Im Sommer des Todes
Amphetamine.«
»Immer was los, nicht wahr?«
»Das kannst du laut sagen. Was hast du jetzt vor? Warum so bedrückt?«
»Ich habe heute Nachmittag einen Termin mit Ihren Königlichen Hoheiten, den Mad Hatters«, erklärte Chadwick.
»So ein Glück! Vielleicht schenken sie dir ja eine LP.«
»Die können sie gerne behalten.«
»Aber denk an Yvonne, Stan! Wenn du die Mad Hatters triffst und eine LP mit Autogramm bekommst, dann bist du in Yvonnes Augen ein Held.«
»Ach, hör doch auf!«
»Ich melde mich bei dir wegen des Hauses«, sagte Broome und ging.
Broomes Zigarettenstummel glomm noch im Aschenbecher vor sich hin, und Chadwick drückte ihn aus. Weil seine Finger nun nach Rauch rochen, ging er zur Toilette und wusch sie, ehe er sein Glas leerte. Im Salon hörte er Studenten über Stevie Wonders »My Cherie Amour« aus der Musikbox lachen. Chadwick mochte das Lied eigentlich gern, wenn er es im Radio hörte. Vielleicht war es wirklich keine schlechte Idee, für Yvonne eine signierte Platte zu holen, dachte er, verwarf sie aber sofort wieder. Würde seine Autorität nicht unbedingt stärken, wenn er eine Gruppe drogensüchtiger Faulenzer um ein Autogramm bat.
Chadwick versuchte sich vorzustellen, wie 25000 Zuschauer beim Brimleigh Festival im Dunkeln hockten und einer lärmenden Gruppe auf einer fernen, beleuchteten Bühne lauschten. Er wusste, dass er die Zahl der Verdächtigen einschränken konnte, wenn er gut arbeitete, besonders da er nun eine genauere Vorstellung vom Tatzeitpunkt hatte. Rick Hayes beispielsweise verschwieg etwas, davon war Chadwick überzeugt. Die Schnappschüsse bewiesen, dass Linda Lofthouse hinter der Bühne gewesen war und unter anderem mit zwei Mitgliedern der Mad Hatters gesprochen hatte. Das musste Hayes gewusst haben, hatte es aber nicht erwähnt. Warum nicht? Schützte er jemanden? Dann fiel Chadwick ein, dass Hayes selbst Linkshänder war, genau wie der Mörder. Wenn er also mehr wusste, als er durchblicken ließ ...
Doch er musste das Theoretisieren sein lassen. Er hatte genug Erfahrung, um zu wissen, dass die näheren Umstände eines Mordes nicht unbedingt Rückschlüsse auf den Geisteszustand des Täters oder auf seine Beziehung zum Opfer zuließen. Menschen waren zu den sonderbarsten, bizarrsten Taten fähig, und manche endeten tödlich. Chadwick leerte sein Glas und ging zurück zur Dienststelle. Er wollte dafür sorgen, dass Constable Bradley den Wissenschaftlern auf die Füße trat, während er mit dem jungen Enderby nach Swainsview Lodge fuhr.
** 8
Seit Roys Tod und den schrecklichen Bombenanschlägen in jenem Sommer war Banks nicht mehr in London gewesen. Als er am Mittag in King's Cross aus dem Intercity stieg, wunderte er sich, dass er durch seine bloße Anwesenheit in der Stadt einen Kloß im Hals bekam. Zum Teil lag es natürlich an Roy, aber er empfand auch eine tief sitzende Empörung darüber, was man dieser Stadt angetan hatte.
Am Bahnhof King's Cross herrschte das übliche Gedränge: Reisende, die zu den Anzeigetafeln hinaufstarrten, als warteten sie auf ein Raumschiff aus dem All. Es gab keine Sitzgelegenheiten, deshalb der Menschenauflauf. Der Bahnhofsvorstand wollte die Gäste nicht dazu ermutigen, sich längere Zeit auf dem Gelände aufzuhalten; er hatte schon genug Probleme mit Terroristen, Drogen und der Prostitution von Minderjährigen. Aus diesem Grund mussten die armen Leute im Stehen auf die Züge warten.
Wie abgesprochen, nahm ein uniformierter Constable Banks und Annie am Seiteneingang in Empfang und raste mit ihnen im Streifenwagen durch das Zentrum zur Cromwell Road und über die Great West Road, vorbei an den graffitiverzierten Beton- und Glastürmen von Hammersmith bis zu Nick Barbers Wohnung in Chiswick, nicht weit entfernt von der Brauerei Fuller. Die Wohnung befand sich in einem modernen Backsteingebäude mit insgesamt drei Stockwerken. Barber hatte oben in einer Eckwohnung gelebt. Der Schlosser der Polizei wartete bereits auf sie.
Als alle Formulare ausgefüllt und ausgehändigt waren, gab das Schloss dem Hantieren des Handwerkers so schnell nach, dass Banks sich fragte, ob er seine Künste früher einmal zu weniger gesetzestreuen Zwecken eingesetzt hatte.
Im Nu standen Banks und Annie in einem Zimmer mit violetten Wänden, an denen Poster mit berühmten psychedelischen Motiven hingen: Jimi Hendrix und John Mayall am 1. Februar 1968 in Winterland, Buffalo
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