Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
einen Schock.«
»Haben Sie irgendetwas angefasst?«
»Nur die Tür. Und den Lichtschalter. Weiter bin ich nicht gegangen. Als ich das Mädchen entdeckte, machte ich keinen Schritt weiter.«
»Und als Sie den Schock überwunden hatten?«
»Da wollte ich ins Geschäft gehen und die Polizei rufen, doch dann fiel mir ein, dass das Polizeirevier ja direkt auf der anderen Seite vom Marktplatz ist und es klüger wäre, direkt rüberzugehen. Das machte ich dann.«
»Können Sie ungefähr abschätzen, wie lange das alles dauerte, vom Auffinden der Leiche bis zum Eintreffen auf dem Revier?«
»Nicht genau. Ich hatte kein Zeitgefühl. Ich meine, ich reagierte einfach. Lief über den Marktplatz.«
»Sie haben gesagt, Sie hätten die Leiche um Viertel nach acht gefunden.«
»Das stimmt. Als ich am Lager ankam, schaute ich auf die Uhr. Reine Gewohnheit.«
»Und um acht Uhr einundzwanzig meldeten Sie die Tote. Ist das richtig?«
»Wenn Sie das sagen.«
»Das sind sechs Minuten. Wie genau geht Ihre Uhr?«
»Ziemlich genau, soweit ich weiß.«
»Verstehen Sie«, sagte Banks und rutschte auf dem Stuhl umher, »wir haben einen Zeugen, der Sie um zehn nach acht ins Labyrinth gehen sah, und wir wissen, dass es von Taylor's Yard bis zu Ihrem Lager höchstens dreißig Sekunden sind. Was halten Sie davon?«
»Aber das wären ja ... elf Minuten. Das kann doch nicht so lange gedauert haben!«
»Kann es sein, dass Ihre Uhr vorging?«
»Möglich.«
»Darf ich mal sehen?«
»Was?«
Banks zeigte auf Randalls Arm. »Ihre Armbanduhr. Darf ich die mal sehen?«
»Ja, sicher.« Randall schaute ihn an.
12:27 Uhr, genau wie auf Banks' Uhr und wie es auch die Kirchturmuhr zeigen würde.
»Scheint richtig zu gehen.«
Randall zuckte mit den Schultern. »Hm ...«
»Wie erklären Sie sich diese elf Minuten?«
»Ich wusste doch nicht, dass es elf Minuten waren«, sagte Randall. »Wie schon gesagt, ich habe keine Ahnung, wie lange das alles dauerte.«
»Gut«, sagte Banks und erhob sich. »Das haben Sie gesagt. Und schließlich sind es nur fünf Minuten Unterschied, oder? Ich meine, was soll man schon in fünf Minuten machen, nicht wahr?« Banks sah Randall in die Augen, und Randall senkte den Blick als Erster. »Bleiben Sie in der Nähe, Mr Randall«, sagte Banks. »Ich schicke am Nachmittag jemanden vorbei, der Ihre Aussage offiziell aufnimmt.«
Mapston Hall war ein düsterer Steinkoloss, der auf der felsigen Landzunge thronte wie eine fette Kröte. Die hohen Tore in der Mauer öffneten sich auf einen Kiesweg, der sich an Bäumen vorbei bis zur Gebäudefront schlängelte. Dort war Platz für ungefähr zehn Autos. Die meisten Plätze waren bereits von Mitarbeitern oder Besuchern belegt, doch Annie fand relativ schnell eine Lücke, parkte und ging dann auf die eindrucksvolle schwere Holztür zu. Neben ihr schlenderte Tommy Naylor, lässig wie immer, und bewunderte die Aussicht. Trotz des Aspirins hatte Annie Kopfschmerzen. Sie sehnte sich nach einem langen Bad, das ihre Sinne belebte.
»Muss schon was kosten, den Kasten hier am Laufen zu halten«, bemerkte Naylor. »Woher wohl das Geld kommt?«
»Mit Sicherheit nicht aus dem staatlichen Gesundheitssystem«, entgegnete Annie, obwohl ein Schild vor der Tür verkündete, dass der National Health Service an der Einrichtung beteiligt sei und Mapston Hall auf die Behandlung von Patienten mit Rückenmarksverletzungen spezialisiert sei.
»Reiche Leute im Rollstuhl«, sagte Naylor. »Wo ein Wille ist ... Nur so ein Gedanke. Ein Verwandter, der endlich ans Geld wollte? Oder Sterbehilfe?«
Annie warf dem Kollegen einen Seitenblick zu. »Dann wär's aber eine interessante Methode, ihr die Kehle aufzuschlitzen«, sagte sie. »Aber an so was werden wir auch denken.« Wie bewusst mochte das Opfer wohl mitbekommen haben, dass das Leben zu Ende ging, fragte sich Annie. Auch wenn kein (Gefühl mehr im Körper war, musste die Frau in ihren letzten Minuten etwas empfunden haben. Erleichterung? Entsetzen? Angst?
Von innen war das Gebäude ebenso alt und dunkel wie von außen, ein richtiger Herrensitz mit Parkettboden, Wandvertäfelung, einer breiten, gewundenen Treppe, hohen Decken mit Kristalllüstern und Ölgemälden von Würdenträgern des 18. Jahrhunderts - zweifellos aus der Familie Mapston. Doch der Computer hinter dem Empfangstresen war durchaus modern, ebenso der
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