Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
Kanzlei in Leeds? Sicher, das lag nicht so weit auseinander, ebenfalls an der Autobahn, aber es gab doch genug Anwälte in Mansfield oder Nottingham. Egal, Annie konnte Constance Wells problemlos googeln, wenn sie wieder in Whitby war. Vielleicht würde die Anwältin ihnen mehr über Karen Drews geheimnisvolle Vergangenheit erzählen können.
»Hier, da geht sie«, sagte DS Kevin Templeton und zeigte auf den Bildschirm. »Da!«
Sie befanden sich im Vorführraum im Erdgeschoss des Präsidiums der Western Area und sahen sich eines der Überwachungsvideos an. Das Bild hätte deutlicher sein können, fand Banks, vielleicht konnten die Techniker es noch ein bisschen klarer machen, doch selbst verschwommen und im Dunkeln, mit Mängeln und Lichtblitzen, war nicht daran zu zweifeln, dass es sich bei dem großen Mädchen, das auf seinen langen Beinen in die Gasse zwischen The Fountain und dem Lederwarengeschäft von Joseph Randall schwankte, um Hayley Daniels handelte. Unsicher stakste sie auf ihren hohen Absätzen, stützte sich mit den Händen links und rechts an den Hauswänden ab und ging Tay-lor's Yard hinunter.
Um 00:17 Uhr war sie mit einer größeren Gruppe aus dem Pub gekommen, hatte etwas zu den anderen gesagt und sie nach einer offenbar etwas hitzigen Diskussion mit einer Handbewegung fortgeschickt. Um 00:20 Uhr war sie allein in die Gasse gegangen. Es war schwer zu sagen, wie viele Personen genau aus dem Pub gekommen waren; Banks schätzte auf mindestens sieben. Er sah zwei Freundinnen von hinten, die noch stehen blieben und Hayley kopfschüttelnd nachsahen, dann mit den Achseln zuckten und den anderen in Richtung Bar None nachliefen. Banks beobachtete, wie Hayleys Gestalt von der Dunkelheit des Labyrinths verschluckt wurde. Niemand blieb stehen und wartete auf sie.
»Ist vor oder nach ihr jemand da reingegangen?«
»Nicht auf den Überwachungsbändern, die wir uns angesehen haben«, sagte Templeton. »Aber sie ist es, Sir, nicht wahr?«
»Ja, schon«, entgegnete Banks. »Die Frage ist nun: Hat er auf sie gewartet oder ist er ihr gefolgt?«
»Ich habe mir die Bänder bis um halb drei angeguckt, Sir, weit nach dem geschätzten Todeszeitpunkt«, erklärte Templeton, »aber niemand ist vor ihr in Taylor's Yard reingegangen und auch nicht nach ihr. Es kommt auch keiner raus. Wir müssen noch die Bänder der Kamera von der Castle Road sichten, aber für den Marktplatz war das jetzt alles.«
»Der Täter ist also auf eine andere Weise hineingelangt, über einen Zugang, der nicht von Videos überwacht wird«, resümierte Banks.
»Sieht so aus, Sir. Aber es kann doch keiner gewusst haben, dass sie ins Labyrinth gehen würde, oder? Und wenn ihr keiner gefolgt ist...«
»Dann war schon jemand da und wartete auf so eine Gelegenheit? Möglich«, sagte Banks.
»Ein Serienmörder?«
Banks warf Templeton einen geduldigen Blick zu. »Kevin, es gibt nur ein Opfer. Wie soll es da ein Serienmörder sein?«
»Bis jetzt gibt es nur ein Opfer«, korrigierte Templeton. »Aber das heißt ja nicht, dass es dabei bleibt. Selbst Serienmörder fangen mal klein an.« Er grinste über seinen eigenen schwachen Witz.
Banks verzog keine Miene, aber er wusste, was Templeton meinte. Sexualstraftäter, die das getan hatten, was dieser Mann Hayley Daniels angetan hatte, gaben sich meistens nicht mit einem Opfer zufrieden. Es sei denn, der Mörder war ein persönlicher Feind von Hayley - eine Frage, die sie noch näher untersuchen mussten. »Und wenn sie gar nicht sein erstes Opfer war?«, sagte Banks. »Sir?«
»Setzen Sie sich an die Nationale Datenbank«, befahl Banks. »Prüfen Sie, ob es in den letzten anderthalb Jahren ähnliche Vorfälle gegeben hat, egal wo im Land. Holen Sie sich Jim Hatchley dazu. Am Computer kann er nicht viel, aber er hat gute Beziehungen zu den anderen Countys.«
»Ja, Sir«, sagte Templeton.
Vor ein paar Jahren wären solche Informationen nur sehr schwer zugänglich gewesen, wusste Banks, doch nach den Ermittlungspannen im Fall des Yorkshire Ripper und anderen Katastrophen wegen mangelnder Zusammenarbeit der Grafschaften hatte sich viel geändert. Ziemlich spät war nun auch die Polizei im 21. Jahrhundert angekommen und hatte eingesehen, dass Verbrecher sich bei ihren Taten nicht an Stadt-, Bezirksund Landesgrenzen hielten.
»Ich frage mich immer noch, warum sie allein ins Labyrinth gegangen ist«, sagte Templeton fast zu sich
Weitere Kostenlose Bücher