Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
immer so einfach gewesen. Mit einer Rechtsmedizinerin zu arbeiten war etwas anderes. »Warum hat er sie überhaupt umgebracht?«, fragte er.
Dr. Wallace betrachtete Banks, als sei er eine Gewebeprobe auf ihrem Tisch. »Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Vielleicht, um sie zum Schweigen zu bringen. Vielleicht kannte sie ihn und hätte ihn identifizieren können. Das ist doch Ihre Aufgabe, so etwas herauszubekommen, oder?«
»Tut mir leid. Ich habe nur laut gedacht. Schlechte Angewohnheit von mir. Ich habe mich auch gefragt, ob es irgendeinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass das Erdrosseln die Erregung steigern sollte - ein Unfall bei brutalem, aber einvernehmlichen Sex.«
Dr. Wallace schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Obwohl, brutal war er auf jeden Fall. Wie gesagt, es sieht ganz danach aus, dass er ein Knie auf ihre Brust stützte, als er sie erdrosselte, und es wäre schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, ihr in der Position sexuelle Gewalt anzutun. In diesem Fall würde ich sagen, dass er sie ermordete, als er mit ihr fertig war.«
»Dr. Burns geht von einem Todeszeitpunkt zwischen zwölf und zwei Uhr am Sonntagmorgen aus. Sehen Sie das auch so?«
»Ich habe nichts gefunden, das gegen diese Schätzung spräche«, sagte Dr. Wallace. »Aber es ist nur eine Schätzung. Der Todeszeitpunkt ist -«
»Ich weiß, ich weiß«, sagte Banks. »Sehr, sehr schwer festzustellen. Ausgerechnet das, was uns oft am meisten helfen könnte. Wieder so eine kleine Ironie des Lebens.«
Dr. Wallace antwortete nicht.
»Sonst noch irgendetwas Auffälliges?«
»Bisher alles völlig normal, was so eine Angelegenheit betrifft.« Dr. Wallace klang sehr matt und wirkte älter, als sie war, so als hätte sie das alles schon zu oft erlebt. Banks trat zurück und schwieg, damit sie in Ruhe weiterarbeiten konnte. Sie griff zum Skalpell und setzte schnell und präzise den Y-förmigen Schnitt. Banks lief ein Schauer über den Rücken.
Annie fuhr mit Ginger nach Nottingham zu dem Gespräch mit Gail Torrance, Karen Drews Sozialarbeiterin, während Tommy Naylor in Whitby die Stellung hielt. Annie mochte Gingers Gesellschaft, fühlte sich wohl in ihrer Gegenwart. Ginger war respektlos und lustig, hatte ständig Kaugummi im Mund, redete ununterbrochen, beschwerte sich über die anderen Autofahrer und schien immer gute Laune zu haben. Aufgrund ihres eher herben Äußeren hatten viele Kollegen auf der Dienststelle sie anfangs für eine Lesbe gehalten, doch es stellte sich heraus, dass sie einen Mann hatte, der zu Hause auf die beiden kleinen Kinder aufpasste. Während Annie am Steuer saß und sich anhörte, was die Kleinen am Wochenende alles mit einer Hüpfburg erlebt hatten, überlegte sie kurz, ob Ginger vielleicht jemand wäre, dem sie von Eric erzählen könnte - ja, jetzt hatte er einen Namen. Doch dann wurde ihr klar, dass es unangebracht wäre, weil sie Ginger nicht gut genug kannte und eigentlich nicht wollte, dass jemand von ihrem Fehltritt erfuhr. Zumindest nicht jetzt. Was erwartete Annie denn? Einen Ratschlag? Sie brauchte keinen. Sie wusste, was zu tun war. Und wenn sie mit irgendjemandem darüber reden würde, dann mit Winsome, auch wenn sie sich in letzter Zeit nur selten sahen.
Annie saß am Steuer, weil sie sich nicht sicher fühlte, wenn Ginger fuhr. Ginger wusste das. Sie sei zwar irgendwie an einen Führerschein gekommen, aber das Fahren gehöre einfach zu den Tätigkeiten, die sie noch nicht so recht in den Griff bekommen hätte, entschuldigte sie sich immer, in einem Monat hätte sie noch ein Fahrtraining. Doch als die beiden sich in einem trostlosen Industriegebiet verfuhren, ärgerte Annie sich, Ginger nicht ans Steuer gelassen zu haben, denn sie war eine noch schlechtere Lotsin.
Irgendwann erreichten sie das Amt in West Bridgford. Es war schon fast Mittag, und Gail Torrance war froh, mit den beiden in den nächsten Pub gehen zu können. Der Laden war schon gut besucht von Büroangestellten, doch es gelang den dreien, noch einen Tisch zu finden, auf dem die Reste der vorherigen Gäste lagen: Pommes, Salat und Schottische Eier, dazu lippenstiftverschmierte kleine Biergläser mit blasswarmen Bierpfützen. Auch der Aschenbecher quoll über vor zerdrückten Zigarettenstummeln mit rosa Lippenstifträndern, einer schwelte noch vor sich hin.
Ginger ging zum Bestellen an die Theke. Als sie mit den Getränken zurückkam, hatte eine mürrische junge Kellnerin
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