Inspector Alan Banks 17 Wenn die Dämmerung naht
...«
»Haben Sie ihn mal gesehen?«, fragte Winsome.
»Nein«, sagte Donna. »Wir kennen keinen von denen. Ihre Lehrer auf der Schule, die kannten wir, aber seit sie auf dem College war, ich meine, das tut man doch nicht, oder?«
»Sie wissen also nicht, wie alt er ist, ob er verheiratet ist oder nicht?«
»Tut mir leid«, sagte Donna. »Da kann ich Ihnen nicht helfen. Sie haben gefragt, ob Hayley mal von jemandem gesprochen hat, und er war der Einzige.«
»Romantische Stadt, Paris«, bemerkte Templeton und rieb mit den Fingernägeln über seinen Oberschenkel, so wie ein Kricketspieler den Ball reibt.
Winsome stand auf. »Danke sehr«, sagte sie. »Das ist schon mal ein Anfang. Wir werden uns mit Mr Austin unterhalten.«
Templeton blieb sitzen. Seine Sturheit machte Winsome nervös. Sie wusste, dass er vom Rang her über ihr stand und deshalb das Aufbruchssignal hätte geben müssen, doch sie war um Schadensbegrenzung bemüht und wollte unbedingt das Haus verlassen, so dass sie nicht daran gedacht hatte. Schließlich erhob er sich langsam, warf Daniels einen langen, nachdrücklichen Blick zu und sagte: »Wir unterhalten uns bald wieder, mein Junge.« Dann holte er seine Visitenkarte heraus und reichte sie demonstrativ Donna, die ihren Mann beobachtete wie ein Torero den Stier. »Wenn Ihnen noch was einfällt, meine Liebe, rufen Sie mich einfach an, egal zu welcher Uhrzeit«, sagte er.
Als sie nach draußen zum Auto gingen, packte er Winsome am Arm und kam ihr so nahe, dass sie das Minzkaugummi in seinem Atem riechen konnte. »Mach das nie wieder mit mir!«
»Es wird kein nächstes Mal geben«, sagte Winsome, erstaunt über ihre eigene Heftigkeit. Dann riss sie ihren Arm los und überraschte sich selbst noch mehr, als sie sagte: »Und nehmen Sie Ihre Drecksfinger weg, Sir!«
Banks war froh, am Dienstag zu einer annehmbaren Uhrzeit nach Hause zu kommen, auch wenn er in Gedanken noch immer damit beschäftigt war, was Annie ihm über Lucy Payne erzählt hatte. Er hatte Broughs Pressekonferenz der Eastern Area am Nachmittag auf der Dienststelle verfolgt, und jetzt waren Lucy Payne und die Morde von The Hill 35 beziehungsweise vom »House of Payne«, wie eine Zeitung damals getitelt hatte, wieder überall in den Nachrichten.
Banks legte Heart of Mine von Maria Muldaur in den CD-Spieler und spähte aus dem vorderen Fenster. Dabei überlegte er, ob er das Lamm-Korma vom Inder aufwärmen oder sich doch lieber ein Hühnchen »Kiew« von Marks & Spencer machen sollte. Maria sang gerade »Buckets of Rain« von Dylan, dabei hatte sich das Wetter beträchtlich verbessert. Die Sonne ging unter, und der Himmel strahlte in leuchtenden Rottönen und warf das letzte Licht auf den schnell fließenden Gratly Beck, der bisweilen wie ein dunkler, blubbernder Ölteppich aussah. Am nächsten Wochenende wurden die Uhren vorgestellt, dann würde es abends wieder länger hell sein.
Schließlich machte Banks sich ein Sandwich mit Schinken und Käse und schenkte sich ein Glas Shiraz von Peter Lehmann ein. Die Stereoanlage war im Anbau, ebenso der Plasmafernseher, aber er hatte Lautsprecher in der Küche und im Vorderzimmer installieren lassen, wo er manchmal saß und las oder am Computer arbeitete. Die Couch war bequem, das Licht der Lampen gemütlich und das Torffeuer angenehm an kalten Winterabenden. Heute brauchte Banks es nicht, beschloss aber dennoch, im Vorderzimmer zu essen und die Notizen durchzugehen, die er sich aus dem Büro mitgenommen hatte. Er hatte Ken Blackstone und Phil Hartnell zu einem Treffen am nächsten Morgen in Leeds überredet. Annie übernachtete in ihrem Cottage in Harkside, Banks wollte sie um halb zehn abholen. Doch vorher musste er noch seine Hausaufgaben machen.
In gewisser Weise kannte er das Thema natürlich schon. Er musste nicht die Akten lesen, um sich an die Namen zu erinnern: Kimberley Myers, fünfzehn Jahre, kam am Freitagabend nach einer Party in der Schule nicht mehr nach Hause. Kelly Diane Matthews, siebzehn Jahre, vermisst seit einer Silvesterparty im Roundhay Park in Leeds. Samantha Jane Foster, achtzehn Jahre, verschwand auf dem Heimweg von einer Lyriklesung in einem Pub in der Nähe der Universität von Bradford. Leanne Wray, sechzehn, verschwand auf dem zehnminütigen Weg vom Pub zu ihrem Elternhaus in Eastvale. Melissa Horrocks, siebzehn, kam von einem Popkonzert in Harrogate nicht nach Hause. Fünf junge Mädchen, alles Opfer von
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