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Inspector Banks kehrt heim

Titel: Inspector Banks kehrt heim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Robinson
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vorübergehend arbeitslose Lehrer und Freiwillige aus dem Ort - verteilten sie auf die entsprechenden Schlangen. Wenn die Kinder in die Waggons stiegen, wurden ihre Namen abgehakt.
      Obwohl ich weder ein evakuiertes Kind noch Aufseher war, gelang es mir, eine Fahrkarte zu erstehen. Ich fand mich in einem Abteil mit einer ziemlich ernst blickenden Dame in einer braunen, mir unbekannten Uniform und einem Zivilisten mit buschigem Schnauzer und Unmengen von Pomade im Haar wieder. Die beiden schienen für mehrere Kinder verantwortlich zu sein, die ebenfalls im Abteil waren und nicht still sitzen wollten. Ich konnte es ihnen kaum verübeln. Sie fuhren hinaus aufs Land, wo sie bei Fremden wohnen würden, weit weg von ihren Eltern, und nur Gott wusste, wann sie wieder zurückkehren konnten. Die Vorstellung machte ihnen große Angst.
      Die Sitzkissen waren warm, die Luft im Waggon zum Schneiden dick, trotz der offenen Fenster. Als wir schließlich losfuhren, wehte Wind herein, das half ein wenig. Gegenüber an der Wand hing ein Bild des Strandes von Scarborough. Die meiste Zeit dachte ich an die sorglosen Ferien meiner Kindheit zurück, die ich dort Anfang des Jahrhunderts mit meinen Eltern verbracht hatte: eine andere Welt, eine andere Zeit. Den Rest der Fahrt sah ich aus dem Fenster, über den schäumenden Kanal hinweg, und ließ die industrielle Stadtlandschaft an mir vorüberziehen: Gärten, in die man kleine Bunker gebaut hatte, halb mit Erde bedeckt, um darauf Gemüse anzupflanzen, der dunkel aufragende Uhrenturm des Rathauses über den Häusern im Zentrum, ein Fabrikgelände, wo schwere Kisten auf einen Lkw geladen wurden, schwitzende Männer mit roten Gesichtern.
      Dann waren wir auf dem Land, und der Geruch von Gras, Heu und Mist erfüllte die Luft, nicht länger der Mief der Stadt. Ich sah kleine, gedrungene Bauernhäuser, Trockenmauern, grasende Schafe und Kühe. Bald trennten sich die Bahnschienen vom Kanal. Mit Getöse fuhren wir durch einen langen Tunnel, die Kinder begannen zu weinen. Später wunderte ich mich über all die Armeekonvois, die sich über die schmalen Straßen wanden. Wir kamen an einem gewaltigen Flugplatz vorbei, der vor Geschäftigkeit nur so brummte.
      Insgesamt dauerte die Fahrt etwas länger als zwei Stunden. Auf dem kleinen Landbahnhof, wo meine Reise endete, wurden nur zehn, elf Kinder hinausbugsiert. Sie wurden in Empfang genommen und zur Dorfhalle gebracht. Ich folgte ihnen. In der Halle warteten die Männer und Frauen, bei denen sie Aufnahme finden sollten. Das System war humaner als andere, von denen ich gehört hatte. In manchen Dörfern herrschte fast ein Sklavenmarkt wie in grauer Vorzeit; Bauern warteten auf dem Bahnsteig und suchten sich die stärksten Burschen heraus, die örtlichen Würdenträger winkten die gutgekleideten Jungen und Mädchen zur Seite.
      Ich wandte mich an die zuständige ehrenamtliche Helferin, eine attraktive junge Landfrau in einem schlichten blauen Kleid mit weißem Spitzenkragen und einem Gürtel um die schmale Taille, und fragte sie, ob sie einen Nachweis über einen Evakuierten namens John oder Johnny Critchley habe. Sie schaute nach und schüttelte den Kopf. Ich hatte nichts anderes erwartet. Wenn ich recht hatte, dann war Johnny nicht unter seinem eigenen Namen hier. Ich erklärte der Frau mein Problem. Sie nannte mir ihren Namen: Phyllis Rigby. Sie hatte ein gelbes Band in ihren langen Locken und roch nach frischen Äpfeln. »Ich wüsste nicht, wie so etwas passieren könnte«, erklärte Phyllis. »Wir sind sehr gründlich. Aber ich muss zugeben, bisher ging es wirklich ein bisschen durcheinander.« Kurz runzelte sie die Stirn, dann delegierte sie ihre Aufgaben an eine andere Helferin.
      »Kommen Sie!«, forderte sie mich auf. »Ich gehe mit Ihnen von Haus zu Haus. So viele Evakuierte gibt es hier nämlich nicht, wissen Sie. Viel weniger als erwartet.«
      Ich nickte. Ich hatte gehört, dass viele Eltern noch nicht bereit waren, ihre Kinder zu evakuieren. »Es passiert noch nicht genug«, erklärte ich. »Aber warten Sie ab! Nach dem ersten Luftangriff kommen so viele Kinder, dass Sie gar nicht genug Platz für alle finden können.«
      Phyllis lächelte. »Die armen Dinger! Was für eine Umstellung das für sie sein muss.«
      »Allerdings.«
      In vollen Zügen sog ich die Landluft ein, als Phyllis und ich von der Dorfhalle losmarschierten, um die auf ihrem Klemmbrett aufgelisteten Familien zu besuchen. Im Ort gab es rund

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