Inspector Banks kehrt heim
den Kopf. »Es liegt mir fern, ihn zu entschuldigen, aber ich nehme an, er wusste nicht, dass das Mädchen seine Stieftochter war, oder?«
»Nein. Er erfuhr es nie. Das Mädchen wusste aber auch nicht, dass Teresa seine Mutter war. Erst sehr viel später.«
»Was geschah dann?«
»Teresa kehrte heim, noch ehe ihr Mann sich an dem sich wehrenden halb nackten Mädchen vergreifen konnte. Den Rest habe ich bereits erzählt. Sie griff zum Schürhaken und schlug ihrem Mann damit auf den Kopf. Nicht einmal, sondern sechsmal. Dann machten die beiden sauber und warteten, bis es dunkel war. Sie vergruben ihn im Garten. Teresa schickte ihre Tochter zu ihrer Schwester zurück und tat so, als hätte ihr Mann sie verlassen, wie er ja oft angedroht hatte.«
Also war die Tochter die geheimnisvolle Gestalt gewesen, die man hatte weglaufen sehen, wie Sid Ferris erzählt hatte. »Was wurde aus dem armen Kind?«, fragte ich.
Miss Eunice dachte wieder nach und schien nach Atem zu ringen. Sie wurde furchtbar blass. Ich stand auf und wollte zu ihr gehen, aber sie streckte den Arm aus. »Nein, nein, Christopher, es geht schon. Bleiben Sie bitte sitzen.«
Draußen hupte ein Auto, ein Händler fluchte laut. Miss Eunice klopfte sich auf die Brust. »Schon besser. Es geht wieder besser, wirklich. Nur ein kleiner Krampf. Aber ich muss mich entschuldigen. Leider bin ich Ihnen gegenüber nicht ganz ehrlich gewesen. Es ist so schwierig. Wissen Sie, dieses Kind - das war ich, das bin ich.«
Mehrmals öffnete und schloss ich den Mund, ohne dass ein Laut herauskam. Schließlich stammelte ich: »Sie? Sie sind Miss Teresas Tochter? Aber das kann doch nicht sein! Das geht doch gar nicht!«
»Ich wollte Sie nicht erschrecken«, sagte Miss Eunice leise, »aber Sie haben sich das auch selbst zuzuschreiben. Wenn die Leute zwei ältere Damen sehen, denken sie nicht weiter nach. Als Sie uns vor fünfzehn Jahren zum ersten Mal in Rose Cottage besuchten, war Teresa neunzig und ich sechsundsiebzig. Ich bezweifele, dass ein Fünfzehnjähriger den Unterschied sieht. Können die meisten nicht. Außerdem war Teresa immer erstaunlich robust und hatte sich gut gehalten.«
Als ich meine Fassung wiedererlangt hatte, bat ich sie fortzufahren.
»Viel mehr ist nicht zu sagen. Ich half meiner Mutter, Jacob Morgan zu töten und zu vergraben. Aber wir haben ihn nicht in Stücke geschnitten. Das haben sich die unersättlichen Tratschtanten ausgedacht. Meine Stiefeltern starben beide kurz nacheinander um die Jahrhundertwende, und Teresa schickte mir das Geld, um nach New York zu kommen und bei ihr zu leben. Ich war nicht verheiratet, ließ also niemanden zurück. Ich glaube, das Erlebnis mit Jacob Morgan, so kurz und nichtig es auch war, muss eine lebenslange Abneigung gegen eheliche Beziehungen in mir begründet haben. In New York jedenfalls sagte mir Teresa dann, dass sie meine leibliche Mutter sei. Sam konnte sie es natürlich nicht beichten, deshalb war ich ihre Gesellschafterin. Wir waren aber immer eher Freundinnen als Mutter und Tochter.« Sie lächelte. »Als wir nach England zurückkehrten, beschlossen wir, als alte Jungfern zusammenzuleben, weil so eine Beziehung in einem Dorf nicht in Frage gestellt wird, das wäre unhöflich.«
»Wie hat die Polizei Sie nach so langer Zeit gefunden?«
»Wir haben unsere Identität nie verschleiert. Uns nie versteckt. Wir erwarben Rose Cottage vor unserer Rückkehr aus Amerika über einen ortsansässigen Anwalt, unsere Anschrift stand also auf allen offiziellen Unterlagen, die wir ausfüllen mussten.« Miss Eunice zuckte mit den Schultern. »Die Polizei sah schnell ein, dass Teresa viel zu schwach für eine Vernehmung war, von einem Prozess ganz zu schweigen. Man ließ die Sache fallen. Und um ganz ehrlich zu sein, gab es auch nicht genug Beweise, wissen Sie. Die Polizei konnte es nicht wissen, und Teresa hätte es niemandem gesagt, aber sie wusste schon vor dem Besuch der Polizei, dass sie bald sterben würde. So wie ich es jetzt auch weiß.«
»Und sie ist gestorben, ohne Ihnen zu verraten, wer Ihr Vater war?«
Miss Eunice nickte. »Ja. Aber ich hatte immer so eine Ahnung.« Kurz blitzten ihre Augen auf, wie ein sprudelndes Getränk beim Einschenken. »Wissen Sie, Teresa war immer ganz besonders eifersüchtig auf diese Tryphena Sparks, und Mr Hardy warf tatsächlich gerne ein Auge auf junge Mädchen.«
Vierzig Jahre sind nun seit Miss Eunice' Tod vergangen,
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