Inspector Banks kehrt heim
niemandem teilen wollte. Seit der Trennung von Sandra hatte er den Eindruck, dass allen Frauen - auch Annie Cabbot oben in York-shire - zu viel Nähe unangenehm gewesen war.
Banks stand auf und schaute auf die Bücher hinunter. Da waren sie, jedes für sich schön, wie verschiedenfarbige Gesteinsschichten oder die Antiquitäten einer archäologischen Ausgrabung. Seine Mutter rief herauf: »Alan, kommst du runter? Das Essen ist fertig. Es gibt Brot mit Dosenfleisch.«
Banks seufzte. »Ich komme!«, rief er. »Muss mir nur noch schnell die Hände waschen, dann bin ich da.« Sicher hatte er früher, als Jugendlicher, gerne Dosenfleisch gegessen, genau wie Sugar Puffs und Würstchen im Teigmantel, doch inzwischen hatte er das Zeug seit Jahren nicht mehr angerührt.
* 8
Nach dem Mittagessen brach Banks auf, um Mrs Green zu besuchen. Die Chaoten von nebenan waren draußen. Am Bürgersteig stand ein Lieferwagen ohne Aufschrift. Zwei stramme junge Burschen trugen einen ein Meter fünfzig breiten Fernseher ins Haus. Es sah aus, als würde er nicht durch die Tür passen. Fred und Rosemary standen auf dem Rasen und rieben sich vor Freude die Hände. Ihre Kinder im Alter zwischen fünf und fünfzehn Jahren liefen ihnen zwischen den Beinen herum. Seit dem Besuch der Läuseärztin an seiner Schule hatte Banks nicht mehr so viele rasierte Schädel gesehen. Wieder wollte er die Nachbarn grüßen, aber sie waren viel zu beschäftigt mit dem neuen Fernseher, als dass sie ihn bemerkt hätten. Er hätte seinen Arsch darauf verwettet, dass der Apparat geklaut war.
Der Wind hatte aufgefrischt, merkte Banks. Er trieb schnell ziehende Wolken und kühle Luft heran, es roch nach Regen. Banks zog den Reißverschluss seiner Lederjacke zu und ging die kurze Strecke zu der Sackgasse, in der Mrs Green wohnte, zu Fuß. Sie öffnete auf Banks' Klopfen und drückte ihre Freude darüber aus, ihn zu sehen. Natürlich war sie älter geworden, runder um die Hüften, die Brust hing herab, aber von ihrer Lebhaftigkeit hatte sie nichts eingebüßt. Eifrig machte sie Tee und stellte einen Teller Scones auf den Tisch. Das Wohnzimmer war zurückhaltend eingerichtet - eine schlichte beigefarbene Tapete, keine Drucke oder Gemälde nur auf dem Kaminsims standen einige Familienfotos.
»Wie geht's Tony?«, fragte Banks. »Hab immer bedauert, dass wir keinen Kontakt mehr haben.«
»So ist das nun mal«, sagte Mrs Green. »Man lebt sich auseinander. Das ist normal. Aber das heißt ja nicht, dass man keine gemeinsamen Erinnerungen hat.«
»Stimmt.«
»Tony geht's gut. Er wohnt jetzt in Vancouver. Ist Anwalt für Steuerrecht. Das Foto hier ist ungefähr zwei Jahre alt.« Sie griff zu einer Aufnahme und reichte sie Banks. Er sah das altbekannte Lächeln und den Schalk in Tonys Augen. Inzwischen hatte er offenbar eine Glatze und war etwas runder geworden. Er trug eine grellbunte kurze Hose und ein rotes T-Shirt. Neben Tony standen eine entspannt lächelnde Frau, die Banks für seine Gattin hielt, sowie zwei gelangweilte und/oder coole Jugendliche. Die vier befanden sich am Strand, im Hintergrund waren wolkenverhangene Berge zu sehen. »Ich sage ihm, dass Sie nach ihm gefragt haben«, erklärte Mrs Green.
»Ja, bitte. Aber duzen Sie mich doch, so wie früher.« Banks stellte das Foto zurück auf den Kamin. »Ich war schon mal in Toronto, aber noch nie in Vancouver.«
»Du solltest mal hinfahren, wenn du die Möglichkeit hast. Bill und ich haben ihn vor fünf Jahren besucht. Die Stadt ist wunderbar. Tony und Carol würden sich bestimmt freuen, wenn du vorbeikämst. Sie haben ein großes Haus.«
»Vielleicht irgendwann mal«, meinte Banks.
»Du bist nicht sehr oft hier bei uns, was?«
»Tja«, entgegnete Banks mit einem Schuldgefühl, weil er bei seinem letzten Besuch keine Zeit für Mrs Green gehabt hatte. »Ich bin oben im Norden ziemlich beschäftigt. Sie wissen ja, wie das ist.« Er trank einen Schluck Tee.
»Deine Eltern sind wirklich stolz auf dich, weißt du das?«
Banks hätte sich fast am Tee verschluckt. Wie kam sie bloß darauf?
Mrs Green betrachtete ihn durch ihre Schildpattbrille. »Vielleicht glaubst du das nicht«, sagte sie, »und deine Eltern würden es vielleicht nicht zugeben, aber es stimmt. Besonders seit der Sache letzten Sommer.«
»Wieso glauben Sie das?«
»Ach, meinst du denn, dass ich nichts von euren Auseinandersetzungen mitbekommen hätte? Deine
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