Inspector Barnaby 04 - Blutige Anfänger
inspiriert.«
»Hatten Sie den Eindruck, daß auch Mr. Hadleigh den Abend genossen hat?«
»Schwer zu sagen. Er war sehr still.« Amy stellte Tasse und Untertasse vorsichtig ab. »Der arme Mann!«
»Wußten Sie, daß er und Jennings sich von früher her gekannt haben?«
»Ja. Rex hat es Sue erzählt. Rex hat die ganze Angelegenheit furchtbar deprimiert. Er fühlt sich schuldig ...«
»Ich schätze, das Problem erledigt sich von selbst.« Barnaby lächelte. »Soviel ich gehört habe, sind sie und Miß Lyddiard nach dem Treffen sofort nach Hause gegangen.«
»Richtig. Ich habe uns noch was zu trinken gemacht und bin dann sofort auf mein Zimmer gegangen, um an meinen Buch weiterzuarbeiten. Honoria ist mit ihrem Manuskript in die Bibliothek verschwunden.«
»Worum geht es denn in Ihrem Buch?«
»Oh!« Amy wurde rot. »Tja, worum geht es? Um Intrigen in der Hochfinanz, Drogenschmuggel, eine verlorene und eine neu gewonnene Liebe, eine kostbare russische schwarze Perle und ein gekidnapptes Findelkind.«
»Klingt unwiderstehlich.«
»Hoffentlich.«
Amy lehnte sich jetzt entspannt zurück. Barnaby fiel auf, daß sie dieselbe alte Hose und Jacke wie am Vortag trug. Ihre Stiefel waren abgetreten. Er fragte sich, wie es wohl um ihre finanzielle Lage bestellt sein mochte. Die Tatsache, daß sie bereit war, in >Gresham House< auszuharren, deutete auf eine reichlich verzweifelte Situation hin.
»Was hielten Sie von Mr. Hadleighs schriftstellerischen Versuchen?« erkundigte sich Barnaby unvermittelt.
»Die waren ziemlich dürftig. Er hat zwar an seinen Geschichten hart gearbeitet, aber es kam einfach nichts dabei heraus.«
»Und was hielten Sie von ihm als Mensch?«
»Das ist schwierig zu sagen, Inspektor. Ich habe ihn nicht gut genug gekannt.«
»Der grobe Eindruck genügt mir.«
Diesmal legte Amy eine so lange Gesprächspause ein, daß Barnaby schon glaubte, sie wolle gar nicht mehr antworten.
»Er hat mich immer an eine Figur aus einem alten Film erinnert«, begann sie schließlich widerwillig. »Es handelte sich dabei um einen Mann mit einem traumatischen Kindheitserlebnis, das sein ganzes Leben zerstört hat. Seine Mimik, seine Bewegungen ... alles an ihm war seltsam leblos und steif.« Amy runzelte die Stirn. »Gerald war genauso.«
»Wie traurig«, seufzte Barnaby ehrlich berührt. »Und wie interessant.«
»Ja«, mußte Amy ihm zustimmen. »Ich habe viel über ihn nachgedacht. Schriftsteller sind schrecklich neugierig. Ich hatte mir mehrere Theorien über seine Vergangenheit ausgedacht.«
»Über seine Vergangenheit? Aber die war doch bekannt.«
»Oh, das habe ich alles nicht geglaubt.«
»Ach ja?« Barnaby beugte sich näher.
»Das Ganze war mir viel zu nichtssagend. Wie seine Geschichten. Das wirkliche Leben ist doch meistens ein heilloses Durcheinander. Man kann sich nicht einfach ein paar nette Details zurechtlegen und dann behaupten, seht her, das bin ich. Wenn Gerald von seiner Vergangenheit gesprochen hat, dann war das so ...«, Amy zögerte, »... als habe er alles auswendig gelernt.«
Barnaby nickte beifällig. Er war seltsam zufrieden mit dieser Unterhaltung, auch wenn sie nichts Neues brachte. Amy Lyddiard war eine durchaus interessante Gesprächspartnerin.
Er fragte sie unvermittelt, ob sie Kinder habe.
Amy schüttelte den Kopf. »Eine Zeitlang war das nicht wichtig für mich. Wir waren sehr glücklich, Ralph und ich. Wir haben uns selbst genügt. Doch dann war ich plötzlich Ende Dreißig, und da habe ich es mir plötzlich anders überlegt. Aber Ralph hat mich vom Gegenteil überzeugt.« Sie preßte die Handflächen gegeneinander. »Später ist mir der Gedanke gekommen, daß er eine Vorahnung gehabt haben muß. Vielleicht hat er damals schon gespürt, wie krank er war, und wollte mich nicht mit einem kleinen Kind allein zurücklassen. Aber diese Angst war falsch. Jetzt gäbe ich viel ... alles ... darum, einen Teil von ihm noch bei mir zu haben.«
Barnaby nickte verständnisvoll. Ein Leben ohne seine Tochter war für ihn nicht vorstellbar.
»Er hatte Krebs.« Amy sagte das beinahe wie zu sich selbst. »Angefangen hat alles mit einer chronischen Hepatitis, die nicht rechtzeitig diagnostiziert und behandelt worden war. Wir haben weitab von jedem Krankenhaus ... oder einem guten Arzt gelebt.«
»Bedauerlich.«
»Die schrecklichsten Menschen überleben ...
Weitere Kostenlose Bücher