Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
vor Erschöpfung. Hätte man ihn nach einem Vergleich aus der Tierwelt gefragt, hätte Barnaby einen Panda am Rande eines Nervenzusammenbruchs vorgeschlagen. »Hier ist keine weitere Überwachung nötig, Perrot. Wir halten Sarah Lawson vorläufig fest. Sie sollten jetzt lieber nach Hause gehen und versuchen, ein bißchen zu schlafen.«
»Ja, Sir. Danke.«
»Und ich würde es mir an Ihrer Stelle in Zukunft zweimal überlegen, bevor Sie einen höheren Beamten mit Ihrer persönlichen Meinung beglücken.«
»Das werde ich, Chief Inspector. Vielen Dank.«
»Sie haben ihn aber billig davonkommen lassen, Chef.«
»Der arme Kerl.« Barnaby drehte den Schlüssel in dem Yaleschloß. »Völlig überfordert und will es unbedingt allen recht machen. Der braucht doch nichts weiter als ein freundliches Wort.«
»Dann hat er halt den falschen Job«, sagte Sergeant Troy.
Wenn er bedachte, wie verschlossen, passiv und energielos Sarah Lawson bei ihrem Gespräch im Bay Tree Cottage gewirkt hatte, war Barnaby überrascht, wie deutlich das Haus ihre Abwesenheit reflektierte. Es schien geschrumpft zu sein und verströmte eine Atmosphäre der Verlassenheit, die etwas Steriles an sich hatte. Er mußte an ein selten besuchtes Museum denken.
Selbst Troy spürte das. Er stand unbeholfen auf einem der bunten, schäbigen Teppiche und sagte schließlich: »Wo sollen wir denn anfangen?«
»Ich seh mich hier um, Sie nebenan.«
Sergeant Troy seufzte, weil er sich an das schmutzige Geschirr erinnerte. Auf das Schlimmste gefaßt, nahm er sich als erstes das Spülbecken vor, um es hinter sich zu bringen. Auf einem Teller hatte sich bereits eine graugrüne pelzige Schicht gebildet.
Er zog sämtliche Schubladen heraus, einschließlich die an einer völlig lädierten Anrichte mit Tellerbord. Holzlöffel, alt aber handgeschnitzt, alle möglichen Kochtöpfe und andere Utensilien in den verschiedensten Formen und Farben, Schüsseln und Teller, die mit Blumen, Fischen, Sternen und ähnlichem bemalt waren. Ein richtiger Trödelladen. Troy erinnerte sich an die Küche seiner Mutter, die einschließlich der Geschirrtücher dem Tagebuch einer edwardianischen Dame hätte entsprungen sein können. Da wären Sarah Lawson die Augen übergegangen.
Aus Gründen, die ihm selbst nicht ganz klar waren, machte Barnaby sich nur widerwillig an die Arbeit. Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Schließlich war es in seinem Job nichts Ungewöhnliches, das persönliche Eigentum anderer Leute durchwühlen zu müssen. Erfolglos versuchte er, seine Gedanken zu ordnen. Schließlich verdrängte er das traurige Bild einer eingesperrten Sarah Lawson aus seinen Gedanken und begann einfach mit seiner Arbeit.
Als erstes nahm er sich einen kleinen, mit einer Messingreling verzierten Schreibtisch vor, auf dem benutzte Scheckhefte, Rechnungen und lose Blätter herumlagen, die meisten davon mit irgendwelchen Skizzen. Er hatte gehofft, etwas Persönliches zu finden, eine Notiz oder einen Brief, vielleicht ein Foto; aber er hatte kein Glück. Auch in den Büchern oder den Hüllen der Schallplatten, die Sarah immer noch Kassetten oder CDs vorzuziehen schien, war nichts zu finden. Vielleicht konnte sie sich keinen CD-Player leisten. Diese Überlegung führte Barnaby zu der Frage nach den finanziellen Verhältnissen der Verdächtigen. Wie arm war Sarah Lawson tatsächlich?
Dem Chief Inspector war durchaus bewußt, daß die Definitionen von Armut sehr verschieden ausfallen. Gewiß, sie hatte keinen Fernseher, aber Barnaby vermutete, daß das eher aus ideologischen Gründen als aus Geldmangel war. Irgendein regelmäßiges Einkommen mußte sie allerdings haben. Drei Stunden Unterricht pro Woche würden maximal sechzig bis siebzig Pfund einbringen. Wer konnte denn davon schon leben, seine Steuer und Rechnungen bezahlen (in ihrem Fall Strom, Telefon und Gas) und sich ein Auto leisten?
Nach dem Zustand des Hauses zu urteilen, hatte sie offensichtlich nichts auf der hohen Kante. Aber Barnaby konnte nicht glauben, daß sie sich wegen ein paar Tausend Pfund, um das Bay Tree Cottage zu renovieren, auf etwas so übles und gefährliches wie die Entführung und Mißhandlung eines anderen Menschen eingelassen hätte.
»Sehen Sie sich das an, Chef.« Troy ging gerade den letzten Stapel Bücher am Fenster durch und hatte einen Band über Picasso auf einer Seite aufgeschlagen, auf der ein Porträt von Dora Maar abgedruckt
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