Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
Schritte von einem kleinen, frisch aufgeworfenen Erdhaufen entfernt. Er wischte mit einem Taschentuch über sein hochrotes Gesicht und gab ein merkwürdiges Geräusch von sich. Eine Mischung aus Keuchen und Knurren.
»Alles in Ordnung, Tom?«
»Nein, und das hab ich dir zu verdanken.«
»Ich hätte sagen sollen ein akzeptables Abbild von Mrs. H. Obwohl akzeptabel kaum das richtige Wort dafür ist, wie du gleich sehen wirst.« Er ging auf die Verandatür zu, die weit auf stand. »Komm rein, und sieh’s dir an.«
Das gesamte Spurensicherungsteam war im Wohnzimmer versammelt, außerdem Sergeant Troy. Sie saßen um einen Tisch, auf dem eine mit Erde verdreckte Plastiktragetasche und eine kleine, halb durchsichtige Plastikhülle lag. Immer noch mit Handschuhen klappte Audrey die Lasche der Hülle zurück, zog mit einer feinen Pinzette etwas heraus, das wie eine Polaroidaufnahme von acht mal acht Zentimetern aussah, und legte es auf den Tisch. Barnaby beugte sich hinunter, um das Bild genauer zu betrachten.
Es war die Frau von dem Hochzeitsfoto. Selbst ohne Make-up und trotz des kläglichen Gesichtsausdrucks war sie zu erkennen. Ihre Züge waren verzerrt, die Lippen so fest zusammengepreßt, daß von dem sinnlichen Herzmund kaum noch etwas zu erkennen war. Ihre Haut war von einer gräulich weißen Blässe, aber das konnte, wie Barnaby bedachte, auch vom grellen Licht des Blitzes kommen. Vor dem Oberkörper hielt sie eine Ausgabe des Evening Standard. vom Donnerstag, dem 6. Juni.
Der Chief Inspector wollte etwas sagen, wurde jedoch von Audrey, der eine Hand hob und nur »Warte« sagte, zum Schweigen gebracht.
Obwohl die Plastikhülle auch noch in einer Tragetasche gewesen war, hatte das die Feuchtigkeit nicht aufhalten können. Audrey schob die Pinzette unter die linke obere Ecke des Fotos und löste es vorsichtig von einem weiteren ab, das sich darunter befand.
Nun waren ihre Augen, die dunkler und viel größer wirkten, vom Weinen verquollen. Auf ihrer Stirn und neben dem Kinn waren tiefe Schatten, wie blaue Flecken. Die Finger, die die Zeitung hielten, waren so dunkel vor Schmutz, als ob sie mit irgendwas gefärbt worden wären. Diesmal war das Datum der 7. Juni.
Das letzte Foto war am schlimmsten. Mrs. Hollingsworths hübscher Mund bot einen grausamen Anblick. Ihre Unterlippe schien gespalten zu sein, und das Blut, das daraus geflossen war, klebte getrocknet an Kinn und Hals. Am rechten Wangenknochen prankte ein heftiger Bluterguß, und man hatte ihr das rechte Auge blau geschlagen. Sie wirkte nicht mehr verängstigt, sondern saß einfach nur da, mit hängendem Kopf und völlig ausdruckslos. In jeder Hinsicht geschlagen. An einigen Stellen war ihre Kopfhaut zu sehen, so als hätte man ihr brutal die Haare ausgerissen. Außerdem hatte man ihr ein Knäuel Zeitungspapier in den Mund gestopft. Ihre Bluse war zerrissen, und vorne an ihrem BH hatte man eine komplette Seite der Sun vom 8. Juni befestigt.
»O Gott«, sagte Troy.
Barnaby starrte auf das da vor ihm ausgebreitete Elend.
Während seiner langen Dienstzeit bei der Polizei hatte er gezwungenermaßen schon viel Schlimmeres gesehen, und der Schock, den er jetzt verspürte, war nicht nur eine Folge von Mitleid und Abscheu, wie es die meisten Menschen bei einem solchen Anblick empfinden würden. Es mischte sich auch Erregung über die plötzliche und dramatische Wendung, die der Fall genommen hatte, unter seine Gefühle. Er hatte seit langem akzeptiert, daß diese Erregung, selbst angesichts der Qualen anderer, eine Seite seiner Persönlichkeit war, die durch seinen Beruf anscheinend bestärkt wurde, wenn sie nicht sogar eine Voraussetzung dafür war. Er hatte seit vielen Jahren aufgehört, sich Gefühllosigkeit vorzuwerfen.
»Du heiliger Strohsack, das ist ja ein Ding, Chef«, sagte Sergeant Troy, wie immer vor Geist sprühend.
Barnaby, dem lauter neue Möglichkeiten durch den Kopf schwirrten, antwortete nicht. Er drehte die Fotos mit der Pinzette um und betrachtete die Rückseiten. Doch außer Feuchtigkeitsflecken war dort nichts zu sehen.
»Irgendwelche Briefumschläge?«
»Ich kann mich an keine erinnern, aber wir sehen noch mal nach.«
»Gebt euch Mühe.« Mit einem Speicheltest könnten sie gegebenenfalls der Sache recht nahekommen. »Die haben ja nicht gerade einen tollen Tapetengeschmack.« Es handelte sich um eine schmal gestreifte Tapete mit kitschigen Zeichnungen von kleinen
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