Inspector Barnaby 05 - Treu bis in den Tod
sie ihr. »Mit dieser Nummer kommen Sie direkt zu mir durch.«
»O, vielen Dank.« Mrs. Molfrey strahlte vor Freude. »Seien sie versichert, daß ich dieses Privileg nicht mißbrauchen werde.« Sie betrachtete die Karte durch ein Vergrößerungsglas. Troy konnte es nicht fassen. Der Chef forderte ja geradezu heraus, daß die alte Schachtel sich alle fünf Minuten ans Telefon hängen würde.
Als Cubby aufstand, um sie hinauszubegleiten, gab es ein knackendes Geräusch, wie von einem Knochen. Barnaby nahm an, es käme von einem altersschwachen Gelenk, bis er bemerkte, wie sein Sergeant das Gesicht verzog und sich die Kinnlade rieb.
Als der Chief Inspector sich zum Gehen wandte, fiel ihm zum ersten Mal das große sepiafarbene Foto hinter ihm an der Wand auf. Darauf war das lieblichste Geschöpf abgebildet, das er jemals gesehen hatte. Ein Mädchen von vielleicht achtzehn mit dem allersüßesten Ausdruck auf den perfekten Gesichtszügen. Eine große Wolke dunkler Haare mit Perlenschnüren durchzogen; riesige verträumte Augen. Ihr schlanker Hals ragte aus einem Bausch von Tüll, der hier und da mit einer Gardenie verziert war. Ihre schmalen, feingliedrigen Hände waren über der Brust gefaltet. Um das Foto herum hingen mehrere Theaterplakate.
Obwohl keinerlei Ähnlichkeit mehr zwischen dieser atemberaubenden Schönheit und der verschrumpelten alten Dame im Ohrensessel bestand, wußte Barnaby sofort, daß es sich um ein und dieselbe Person handelte. Und er fragte sich, wie Mrs. Molfrey Tag für Tag diesen grausamen Vergleich ertragen konnte.
»Sie wissen natürlich, wer sie ist?« sagte Cubby schüchtern, als sie erneut den abgenutzten Steinpfad entlanggingen.
»Ich fürchte nein«, sagte der Chief Inspector.
»Elsie Romano.« Als Barnaby kein Erkennen zeigte, fügte er hinzu: »Ein Star des Edwardianischen Theaters. Und eine der großen Schönheiten dieses oder jedes anderen Jahrhunderts.«
Troy, der die Nachhut bildete, verdrehte erneut die Augen und fuhr mit dem Zeigefinger mehrmals vor seiner Stirn im Kreis herum.
»Sie war der gefeierte Star des Ivy und des Trocadero. Und des Café d’Angleterre. Wenn sie nach der Vorstellung mit Jack dort tanzen ging, stiegen die Leute auf die Bänke, ja sogar auf die Tische, um einen Blick von ihr erhaschen zu können.«
»Ist ja interessant, Mr. Dawlish.« Barnaby, der 1941 geboren war, drei Jahre nachdem das Café d’Angleterre zerbombt worden war, fiel nichts weiter dazu ein.
»Sie sehen also, welches Privileg ich genieße. Ich bin nur ein einfacher Kerl, nie irgendwo gewesen, nie was Besonderes gemacht. Und da, praktisch am Ende meiner Tage, habe ich plötzlich diese... Ehre, könnte man sagen. Die Gunst, mich um dieses erlesenste und lieblichste...« Tief bewegt drückte Cubby sein rot-weißes Taschentuch an seine überfließenden Augen.
Troy öffnete mit abgewandtem Gesicht und bebenden Schultern das Gartentor.
»Ich bin sicher, wenn Sie sie im richtigen Augenblick erwischen, würde Elfrida Ihnen das Foto von sich und Jack auf den Stufen des Gaiety zeigen.«
»Jack - war das ihr Mann?«
»Gütiger Himmel, nein.« Höflich versuchte Cubby seine Verblüffung über soviel Ignoranz zu verbergen. »Jack war Jack Buchanan.«
Barnaby hatte vorgehabt, als nächstes bei den Brockleys vorbeizugehen. Nicht nur um zu erfahren, ob Brenda zurückgekommen war, sondern auch weil sie die einzigen anderen Bewohner dieser Sackgasse waren und somit am ehesten die Aussage von Cubby Dawlish bestätigen könnten. Da sie mit Sicherheit lange aufgeblieben waren und besorgt nach den Scheinwerfern vom Auto ihrer Tochter Ausschau gehalten hatten, könnten sie vielleicht sogar noch etwas hinzufügen.
Doch als er mit Troy auf The Larches zuging, kam ihnen Perrot laut rufend entgegen.
»Was gibt’s? Was ist passiert?«
»Mr. Marine hat mir gesagt, ich soll Ihnen sagen, sie hätten sie gefunden!«
»Wen gefunden?«
»Nun ja, Mrs. Hollingsworth, Sir.«
»Ich hatte ganz vergessen, was für ein Witzbild du bist, Audrey.« Barnabys Herz, das wie wild zu schlagen begonnen hatte, als er den Weg entlang, am Haus vorbei und in den Garten gerast war, beruhigte sich allmählich wieder.
»Tut mir leid«, sagte Audrey Marine. »Ich hatte schon immer diesen Hang zum Dramatischen, fürchte ich. Komm ich offenbar nicht gegen an.«
Barnaby ließ sich in einen Stuhl auf der Veranda fallen, nur wenige
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