Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
schlenderte zur Tür. »Der Gang müsste gerade fertig sein.«
»Der was?«
»Der Waschgang. Nachdem ich fertig war, hab ich alles in die Waschmaschine gestopft. Wie gesagt, es war eine ziemlich schmutzige Arbeit.«
Barnaby kam zwanzig Minuten zu spät zu seiner Sieben-Uhr-Besprechung und war noch rot vor Zorn nach einem Streit mit den Leuten von der Finanzabteilung im obersten Stock. Im Ermittlungsraum ging es aus zwei Gründen ziemlich lebhaft zu. Erstens weil der Fall, der in einer Sackgasse zu stecken schien, eine völlig unerwartete und dramatische Wendung genommen hatte. Zweitens weil das Tonband angekommen war.
Alle hatten es bereits gehört - bis auf den Chef und seinen Taschenträger. Inspector Carter wartete, bis die beiden saßen, spulte zurück und drückte auf Play.
In dem Moment, als sie zu sprechen anfing, wusste Barnaby, wer es war.
»... Hilfe ... Sie müssen mir ... helfen ... jemand ist gefallen - nein, nein, ins Wasser... in den Fluss... sie war so schnell verschwunden ... einfach weggerissen ... Ich bin rauf und runter gelaufen ... bis zum Wehr ... Was? Ach so, Ferne Basset... ich weiß nicht, vor einer halben Stunde, vielleicht weniger ... Um Gottes willen! Ist es denn so wichtig, wann? Kommen Sie doch, Sie müssen sofort kommen ...«
Als sie nach ihrem Namen gefragt wurde, hatte die Frau aufgestöhnt. Nach einem Augenblick absoluter Stille war dann der Hörer heruntergefallen. Sie konnten alle hören, wie er klappernd gegen die Wand der Telefonzelle schlug. Dann fing sie an zu weinen. Etwa eine Minute später wurde der Hörer ganz sachte auf die Gabel zurückgelegt.
Barnaby saß reglos da, die Augen geschlossen. Es hatte keinen Sinn, die tragischen Verwicklungen zu beklagen, die verhindert hatten, dass er sich Ann Lawrence vornehmen konnte, bevor es zu spät war. »Wenn nur« waren Worte, die nicht zu seinem Vokabular gehörten. Trotzdem war es verdammt hart.
Im Raum war es still. Irgendwer hatte das Tonband ausgeschaltet. Sergeant Troy, der sich äußerst unbehaglich fühlte, warf einen verstohlenen Blick auf die gedankenverlorene Gestalt unter der Neonlampe. Er sah ein Profil, das eher schlaff als entspannt wirkte, und blaue Adern, die sich deutlich an den Handgelenken abzeichneten (wieso waren die ihm noch nie aufgefallen?), sowie schwere Hautsäcke über den Augenlidern.
Natürlich sah der Chef häufiger fix und fertig aus, das war nichts Neues. Sergeant Troy hatte ihn schon oft müde und enttäuscht erlebt. Betrogen. Ja sogar im Stich gelassen. Aber noch nie so geschlagen wie jetzt. Und noch nie so alt.
Barnaby hob den Kopf, erst mühsam, als ob er aus Stein wäre, dann leichter. Seine breiten Schultern strafften sich energisch, wie befreit von einer Last.
»Also«, sagte er lächelnd, vor ihren Augen zu neuem Leben erwacht. »Das ist ja eine Überraschung.«
Gleichzeitig setzte sich der ganze Raum wieder in Bewegung - wie bei einem Film, wenn vom Standbild zurück auf Play geschaltet wird. Die Leute begannen, hin und her zu gehen, zu gestikulieren, zu reden. Jemand lachte sogar. Das war doch tatsächlich Sergeant Troy. Teils aus Nervosität, teils aus purer Erleichterung.
»Damit passt sie gut ins Bild, nicht wahr, Sir?«, sagte Audrey Brierley. »Mrs. Lawrence, mein ich.«
Zustimmendes Gemurmel erhob sich. Jetzt schien alles ganz offensichtlich. Das vermisste Mädchen hatte bei der Frau im Haus gewohnt, der Hauptverdächtige ebenfalls. Oder so gut wie. Der Ermordete hatte für sie gearbeitet. Alles passte wunderbar zusammen.
»Jetzt wissen wir also«, sagte Barnaby, »dass sie gesehen hat, wie das Mädchen im Fluss verschwand. Aber das ist auch alles, was wir im Augenblick wissen, okay?«
Nur zögerliche Zustimmung war zu hören.
»Wir sollten nicht übers Ziel hinausschießen«, fuhr der Chief Inspector fort. »Sie könnte das Ganze einfach nur beobachtet haben. «
»Vermutlich heimlich beobachtet«, gab DI Carter zu bedenken, »sonst wäre sie schon längst zum Schweigen gebracht worden.«
»Aber wenn es nicht so war«, fuhr Barnaby unbeirrt fort, »wenn Mrs. Lawrence die einzige beteiligte Person war, dann muss Leathers sie erpresst haben.«
Diese Vermutung, die alle bisherigen Theorien und ÜberZeugungen in dem Mordfall auf den Kopf stellte, wurde mit erstaunlicher Gelassenheit vorgebracht. Und die Leute im Raum, gewohnt, sich nach dem Boss zu richten, nickten
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