Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
altmodischen Dingern, die an einem Draht hingen. Als er losließ, überlegte er flüchtig, was passieren würde, wenn er festhalten würde. Würde der Draht immer weiter herauskommen? Könnte er weggehen und ihn sich immer weiter um den Arm wickeln? Würde dann das Haus zusammenbrechen? Bei dieser verrückten Vorstellung musste er in sich hinein kichern.
»Und hören Sie auf zu grinsen.«
»Sir.«
»Keiner da«, sagte der DCI, der nicht gerade geduldig war.
»Doch«, sagte Sergeant Troy. »Die warten darauf, dass wir hinten rumgehen.«
»Was?«
»Durch den Lieferanteneingang.« Troy kräuselte die Lippen, wie er das immer tat, wenn er über die Bourgeoisie herzog. »Ja, Sir, bitte sehr, Sir, nein, Sir. Drei schwere Beutel voll.«
»Unsinn. Das ist doch nur der ehemalige Pfarrer, Lionel Lawrence.«
»Sie kennen ihn also?«
»Ich weiß ein bisschen was über ihn. Er hat vor etwa zwanzig Jahren den Chief Constable verehelicht.«
»Na so was«, sagte Sergeant Troy. »Das hat man aber hübsch unterm Teppich gehalten.« Er hob den Arm, um den Türklopfer ordentlich knallen zu lassen, doch Barnaby hielt ihn zurück.
»Da kommt jemand.«
Ann Lawrence öffnete die Tür. Barnaby registrierte die verschossenen blaugrünen Sachen und die grauen Haare, die so ungeschickt hochgesteckt waren, dass sie schon wieder herunterfielen. Ihre Haut wirkte fast durchsichtig, und die Augen waren so blass, dass man ihre Farbe nicht erkennen konnte. Der Chief Inspector glaubte, er habe noch nie jemanden gesehen, der so ausgelaugt aussah. Er fragte sich, ob sie krank war. Vielleicht litt sie an Anämie.
»Mrs. Lawrence?«
»Ja.« Sie machte den Eindruck, als erwartete sie, dass jeden Augenblick etwas Furchtbares passieren würde. Sie schien fast die Luft anzuhalten. Ihr Blick huschte besorgt zwischen den beiden Männern hin und her. »Wer sind Sie?«
»Detective Chief Inspector Barnaby. Kriminalpolizei Causton. Und das ist Sergeant Troy.« Als Barnaby seinen Ausweis hochhielt, entfuhr Ann Lawrence ein leiser Ton, dann hielt sie sich die Hand vor den Mund. Das bisschen Farbe, das sie noch hatte, wich aus ihrem Gesicht.
»Dürften wir Sie einen Augenblick sprechen? Und auch Ihren Mann, wenn er da ist.«
»Worüber? Was wollen Sie?« Sie war sichtlich bemüht, sich zu fassen. Wahrscheinlich war ihr bewusst, wie merkwürdig ihr Verhalten wirken musste. »Entschuldigen Sie. Kommen Sie bitte herein.« Sie trat zurück und hielt die schwere Tür weit auf. »Lionel ist in seinem Arbeitszimmer. Ich bringe Sie zu ihm.«
Der Weg führte durch eine schwarzweiß geflieste Diele.
Eine große sternförmige Lampe hing an einer schweren Kette über der Treppe. Auf einem ovalen Tisch stand ein Kupferkrug, vollgestopft mit Buchenzweigen, Schafgarbe und getrocknetem Rainfarn. Daneben lag ein kleiner Stapel Post, die verschickt werden sollte.
Das Arbeitszimmer war ein stiller, friedlicher Raum, dessen Fenster nach hinten hinausgingen. Die Vorhänge aus bernsteinfarbener Seide waren so alt, dass sie schon fast fadenscheinig wirkten. Es standen mehrere Schalen mit Flyazinthen herum, und überall lagen Bücher und Zeitschriften. Im Kamin knisterte ein Feuer, das den süßlichen Geruch von Äpfeln verströmte.
Als sie hereingeführt wurden, sprang Lionel Lawrence beflissen auf und kam eilig hinter seinem Schreibtisch hervor, um Barnaby die Hand zu schütteln.
»Mein lieber Chief Inspector! Wir sind uns, glaube ich, schon mal begegnet.
»Ein- oder zweimal«, stimmte Barnaby zu. »Beim Schiedsgericht, glaub ich.«
»Kommen Sie wegen Carlotta?«
»Carlotta?«
»Ein junges Mädchen, das wir bei uns aufgenommen hatten. Es kam zu einer Unstimmigkeit - ein Streit mit meiner Frau -, und sie ist fortgelaufen. Wir machen uns beide große Sorgen.«
»Leider nein.« Barnaby fragte sich, ob das der Grund war, weshalb Mrs. Lawrence so außer sich gewesen war, als er mit Troy auftauchte. Es schien ein bisschen übertrieben. Die meisten jungen Leute, selbst aus geordneten Verhältnissen, verdrückten sich halt ab und zu mal. Schmuggelten sich nach einem Krach zu Hause vielleicht über Nacht in das Haus eines Freundes ein und pennten seelenruhig, während ihre aufgelösten Eltern jede mögliche Telefonnummer ausprobierten oder rufend und suchend durch die Straßen liefen. Ihm fiel auf, dass Mrs. Lawrence jetzt sehr viel ruhiger wirkte.
»Nehmen Sie
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