Inspector Barnaby 06 - Ein sicheres Versteck
Darauf hat er ein Recht.«
»Eigentlich nicht.« Barnaby nickte verärgert seinem Sergeant zu, der darauf sein Notizbuch einpackte und aufstand, um zu gehen. Der Chief Inspector folgte ihm, drehte sich aber noch einmal um.
Lionel Lawrence stand über Jackson gebeugt und half ihm auf die Füße. Jackson klammerte sich an den Arm des älteren Mannes. Sein verheultes Gesicht leuchtete vor frommer Dankbarkeit, als hätte er einen Segen empfangen.
Barnaby knallte angewidert die Tür zu und lief die Treppe hinunter.
»Schwul wie die Nacht, der alte Knacker.« Sergeant Troy ging mit großen Schritten zum Auto und ließ seinen Gefühlen freien Lauf, indem er wütend in den Schotter trat.
»Das glaub ich nicht.«
»Was dann? Wozu macht er das denn?«
Ja, wozu machte Lionel Lawrence das? Über diese Frage dachte Barnaby nach, während Troy den Schotter in der Einfahrt aufwirbelnd auf die Hauptstraße schoss.
Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen warf der Chief Inspector nicht automatisch alle »Wohltätigkeitsapostel« in einen Topf oder hatte für den ganzen Haufen nichts als Verachtung übrig. Er hatte während seiner langen Laufbahn als Polizist zu viele von ihnen kennen gelernt, sowohl professionelle Helfer als auch Amateure, um nicht die unterschiedlichen Typen zu erkennen und die unterschiedlichen Einstellungen, mit denen sie an die Sache herangingen. Man traf immer auf einige, die glattweg abstritten, überhaupt irgendwelche Gründe für ihr Tun zu haben. Und weitaus mehr hatten äußerst konfuse Gründe, warum sie so handelten.
Viele taten es, weil es ihnen Macht gab, die Möglichkeit, Beziehungen zu schaffen, in denen sie die Oberhand hatten. Das waren Leute, bei denen es aufgrund ihrer Persönlichkeit und Begabung äußerst unwahrscheinlich war, dass sie unter normalen Umständen je Autorität über irgendetwas charismatischeres haben würden als die Katze im Büro. Bei ihnen war Mitleid bloß kaschierte Herablassung.
Die gleiche Erklärung galt für gesellschaftliche Nieten. Da sie meist selbst keine glücklichen und stabilen Beziehungen hatten, spielten diese emotionalen Versager den riesigen Vorteil aus, in psychischen Dingen bestens Bescheid zu wissen. Oft war es das erste Mal in ihrem Leben, dass jemand sie brauchte.
Dann gab es welche, die Gewalt mit einer romantischen Aura umgaben und sich dazu hingezogen fühlten. Leute, die selber nie Opfer von Gewalt gewesen waren, wurden manchmal zu leidenschaftlichen Gefängnisbesuchern. Stets mit einem Wärter in der Nähe verbrachten sie eine wunderbare Zeit in Gegenwart einiger der, wie sie meinten, wildesten und gefährlichsten menschlichen Individuen. Unter solchen Besuchern hatte Barnaby mal einen Quäker kennen gelernt, einen Pazifisten, der am liebsten mit Mördern zu tun hatte. Als er ihn auf dieses Paradox aufmerksam machte, sah der Mann absolut nichts Merkwürdiges darin.
Hinzufügen könnte man noch die Frührentner mit ihren verschwommenen Gefühlen, die sie nirgends sonst loswerden konnten, und die kleine Anzahl von Wohlhabenden, die immer noch ein soziales Gewissen hatten. Dann blieben die äußerst wenigen bemerkenswerten Menschen übrig, die ohne jeden Hintergedanken ihre Mitmenschen einfach liebten. Barnaby hatte viele getroffen, die sich in dieser Rolle sahen. Tatsächlich hatte er jedoch in über dreißig Jahren nur zwei erlebt, die wirklich so waren.
Und zu welcher Gruppe gehörte Lionel Lawrence? Der Chief Inspector beschloss, dass er mehr über den Mann herausfinden musste. Zum Beispiel, ob die Lawrences Kinder hatten. Wenn nicht, könnte das der Grund sein, weshalb er so aufopfernd jungen Leuten Zuflucht gewährte. (War nicht auch die Rede davon gewesen, dass ein Mädchen fortgelaufen war?) War er immer bei der Kirche gewesen? War das seine erste Ehe? Wenn ja, wie hatte er vorher gelebt? Und schwappte diese exzessive Gefühlswärme, in der er sich nun sonnte, jemals auf die Unattraktiven, die Mittelalten oder Alten beiderlei Geschlechts über? Und wenn nicht, warum nicht?
Der DCI wurde unsanft aus seinen Überlegungen gerissen, als Sergeant Troy wütend anfing zu hupen und einem Mann mit einem roten Setter heftig zunickte. Beide hatten geduldig am Straßenrand gewartet, bis sie die Straße überqueren konnten, was sie nun verständlicherweise eiligst taten, während Sergeant Troy, der immer noch wegen der widerwärtigen Szene, die sie gerade erlebt hatten, vor Wut kochte, laut
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