Inspector Jury besucht alte Damen
dort – zusammen mit ein paar anderen, sorgsam ausgewählten Gegenständen – etwas mit Hannah Leans Fingerabdrücken findet.»
Sie warf ihm einen eigenartigen Blick zu. «Hören Sie auf, von mir in der dritten Person zu reden. Als ob ich nicht anwesend wäre. Die letzten beiden Tage reichen mir für mein ganzes Leben, Superintendent. Und diese neue Theorie –» Sie tat sie mit einem verächtlichen Schulterzucken ab. «Dazu kann ich nur sagen, was ich vorhin schon gesagt habe: es hätte nicht geklappt.»
«Hat es aber, oder?»
Jetzt hatte er sie ertappt: ihr Ausdruck sagte ihm, daß sie auf Anhieb verstanden hatte, was er meinte. Statt völliger Ungläubigkeit las er dort völliges Begreifen.
Crick betätigte sich, adrett mit weißer Schürze angetan, in der höhlenartigen Küche über einem kupfernen Simmertopf. Er bereitete, wie er sagte, Lady Summerstons Dickmilch fürs Abendessen zu. Auf der Anrichte standen ein Milchbehälter und eine Packung Burgess’ Labferment.
«Ich habe die Gästeliste für Sie, Sir, und auch die Adressen.» Er wischte sich die Hände in der Schürze ab und ging die Liste durch. «Also, Mrs. Brill ist nach Clacton verzogen. Ein gräßlicher Ort, finde ich, aber sie sagte, sie brauche die Seeluft.» Er blickte Jury an. «Dabei hat sie die Gicht. Ich habe noch nie etwas von Seeluft gehalten, wenn man es an der Lunge hat –»
Jury lächelte. Er rechnete ehrlich gesagt nicht damit, von diesen versprengten Freunden Lady Summerstons irgendwelche nützlichen Informationen zu erhalten; aber es mußte getan werden. «Danke, Crick.» Jury steckte die Liste ein. «Sagen Sie, haben Sie einen Satz Teller oder ein Service mit Goldrand?»
«Das Royal Doulton? Oder das Staffordshire? Oder natürlich das Belleek.»
«Das mit dem Goldrand.»
Crick bemühte sich, sein Erstaunen zu verbergen. «Die haben alle einen Goldrand, Sir.»
Jury lächelte wieder. «Könnte ich sie mir mal ansehen?»
«Sehr wohl. Das meiste steht im Eßzimmer. Hier haben wir nur einige Teile vom Besteck. Das nimmt Lady Summerston gern zum Lunch.»
Dasselbe Muster wie die Teller in Sadie Divers Wohnung.
«Danke. Übrigens hat mir Lady Summerston erzählt, daß sie vorm Zubettgehen gern etwas Warmes trinkt.»
«So ist es. Eine Tasse Kakao oder Horlick, das schätzt sie sehr. Oder heißen Rum mit Butter.» Er schenkte Jury ein verhaltenes und wissendes Lächeln, dann machte er sich wieder ans Milchrühren.
«Achten Sie doch bitte darauf, daß Sie das zubereiten und ihr hochbringen.»
Das trug Jury eine leichtgewölbte Braue, jedoch keine weitere Frage ein. Crick befolgte Weisungen grundsätzlich genau und ohne Einwände. «Sehr wohl, Sir.» Er probierte die Milch mit seinem französischen Probierlöffel und kippte dazu den Topf. «Ein bißchen zu heiß, ja, ja.»
Jury steckte Notizbuch und Stift ein und sagte: «Das Zeug habe ich auch gern gemocht, als ich noch klein war. Die Milch muß dafür genau richtig sein.»
Crick hatte das Gas unter dem Topf abgedreht. «O ja, Sir. Körpertemperatur. So warm wie Blut.»
«Ja. So warm wie Blut.»
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T REVOR S LY TEILTE DEN V ORHANG und stand einen Augenblick da, als hätte man ihn für eine Zugabe herausgerufen. «Ah! Meine Herren. Diese Freude.» Er scharwenzelte an der Bar entlang und rieb sich die Hände. Dann glitt er auf seinen Hocker und umschlang dessen Beine mit seinen eigenen.
«Ehe Sie sich’s gemütlich machen, Mr. Plant möchte ein Lager, und mir ist alles recht.»
«Kairo-Flamme?» Trevor Sly rieb sich die Hände wie ein Wucherer.
«Lieber eine Tasse Tee.»
Jury legte die Fotos von Sadie Diver und Hannah Lean auf die Bar. «Haben Sie diese Frau schon mal gesehen?»
Trevor Sly ließ das Glas unter dem Hahn abtropfen und sah sich die Fotos an. «Das ist Mrs. Lean. Ist vor vierzehn Tagen mit ihrem Mann hiergewesen, wie ich schon sagte.»
«Kann ich auf Ihre Diskretion rechnen, Trevor?»
«Der Herr schlage mich mit Blindheit, wenn ich rede, Mr. Jury.»
«Nicht ehe Sie sich das hier angesehen haben.» Er legte die Polizeifotos von der Toten auf die Theke. «Erkennen Sie sie?»
Trevor Sly fuhr zurück. «Gott bewahre, das ist ja Mrs. Lean. Von Watermeadows.»
«Diese Frau hier?»
Er sah sich noch einmal das Foto von Sadie Diver an, wollte schon den Mund aufmachen und sah wieder hin. «Nie gesehen, aber sie sieht wirklich wie Mrs. Lean aus. Auf Gesichter verstehe ich mich sehr gut, wie ich schon sagte. Einer der Gründe, warum ich soviel Zulauf
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