Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
führte die Kopfbewegung aber weiter, so dass sie eher zu einer zeremoniellen Verbeugung wurde. Das war typisch für Silvers, den man auf der Wache - nach Jeff Becks unsäglichem Stück - nur »Hi-Ho« nannte. Er war Ende dreißig, immer wie aus dem Ei gepellt und ständig auf der Lauer nach möglichen Beförderungen, ohne dafür die notwendige harte Arbeit zu liefern. Sein schwarzes Haar und die tief liegenden Augen verliehen ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fußballguru Alan Hansen.
»Wir glauben, wir haben die Tatwaffe, Sir. Ein Stein mit Blut- und Haarspuren daran.« Er deutete auf den Pfad. »Knapp vierzig Meter da lang.«
»Wer hat ihn gefunden?«
»Ein Hund, Sir.« Sein eines Auge zuckte. »Hatte schon den größten Teil des Blutes abgeleckt, bevor wir den Stein sichern konnten.« Professor Gates sah von seiner Arbeit auf. »Wenn das Labor also eine DNA-Analyse macht«, erklärte er, »und zu dem Ergebnis kommt, dass das Opfer ein schönes glänzendes Fell hatte, dann wissen Sie, wo das Problem liegt.«
Er lachte, und Rebus lachte auch. Es war immer so bei Tatortuntersuchungen: Jeder benahm sich so, als wäre alles ganz normal, um eine Barriere zwischen sich und der augenfälligen Tatsache zu errichten, dass aber auch gar nichts normal war.
»Wie ich höre, könnten Sie eine inoffizielle Identifizierung vornehmen«, sagte Gates. Rebus nickte, atmete tief durch und trat vor. Der Leichnam lag da, wo er hingefallen war, mit zerschmettertem und blutverkrustetem Hinterkopf. Das Gesicht lag auf dem holprigen Pfad, ein Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt. Ein Arm war unter dem Körper verborgen, der andere ausgestreckt, so dass die Finger sich in die feuchte Erde hatten krallen können. Rebus erkannte ihn schon an der Kleidung, hockte sich aber hin, um das, was vom Gesicht noch übrig war, zu betrachten. Gates hob den Kopf ein wenig an, um ihm die Sache zu erleichtern. Hinter den Augen war jegliches Licht erloschen; um den Dreitagebart würde sich der Leichenbestatter kümmern müssen. Rebus nickte.
»Darren Rough«, sagte er mit belegter Stimme.
Nachdem sie das Interview für eine Pause unterbrochen hatten, saß Jim Stevens nackt auf der Kante seines Bettes, umgeben von achtlos hingeworfenen Kleidungsstücken. Auf seinem Nachttisch standen zwei leere Miniwhiskyflaschen. Seine Hand umfasste das leere Glas, und er starrte es an und durch es hindurch, fixierte Dinge, die die Welt nicht sehen konnte...
Zweiter Teil
GEFUNDEN
Ich fordere Sie auf, sich der Verantwortung Ihrem irdischen Beruf gegenüber tiefer bewusst zu werden, weil diese uns nur dunkel und unklar vorschwebt und weil wir kaum.
27
Einer von Roughs Schuhen hatte sich irgendwo - ungefähr auf halbem Weg zwischen der Stelle, wo sein Körper gestürzt war, und derjenigen, wo man den Stein aufgefunden hatte - selbstständig gemacht. Eine erste Theorie: Jemand hatte ihm mit Wucht eine draufgeknallt. Er war weitergetorkelt, hatte versucht, seinem Angreifer zu entkommen. Dabei hatte er einen Schuh verloren und liegen lassen. Schließlich war er zu Boden gestürzt und seinen Verletzungen erlegen. Das Gebell eines herankommenden Hundes hatte den Täter veranlasst, das Weite zu suchen.
Eine zweite Theorie: Nach dem Schlag war Rough auf der Stelle gestorben. Der Täter hatte ihn ein Stück weit den Pfad entlanggeschleift, wobei ein Schuh vom Fuß geglitten war. Vielleicht wollte der Täter den Anschein erwecken, Rough sei von den Crags gesprungen oder gestürzt. Aber dann war die Frau mit dem Hund aufgetaucht und hatte den Mörder vertrieben.
»Was hatte er hier überhaupt zu suchen?«, fragte jemand später auf der Wache.
»Ich glaube, er ging gern dahin«, antwortete Rebus. Er war jetzt der offizielle Darren-Rough-Experte in St. Leonard's. »Es stellte für ihn sowas wie ein Schutzgebiet dar, einen Ort, an dem er sich sicher fühlte. Und er konnte von da aus auf Greenfield runtergucken, sehen, was da passierte.«
»Dann ist ihm also jemand gefolgt? Hat sich an ihn rangepirscht?«
»Oder hat ihn überredet, da raufzugehen.«
»Wozu?«
»Damit es wie Selbstmord aussieht. Vielleicht hatte der Täter in der Zeitung über Jim Margolies gelesen.«
»Das wäre immerhin ein Gedanke...«
Es gab jede Menge Gedanken, jede Menge Theorien. Ein Gedanke lautete: Gut, dass der Dreckskerl erledigt ist. Noch vor einer Woche wäre das auch Rebus' Meinung gewesen.
Das »Mordzimmer« wurde eingerichtet, und aus dem ganzen Haus schaffte man Computer herbei.
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