Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
eingerichtet, stimmt's, Billy Boy? Wir wären zurechtgekommen.«
Billy drehte sich nach hinten um, versuchte, vom Sicherheitsgurt behindert, seinen Vater zu umarmen. Siobhan starrte Rebus im Rückspiegel an. Beide wussten, was passieren würde: Billy würde man nach Greenfield zurückverfrachten, und gegen Mearn würde wahrscheinlich Anklage erhoben. Keiner der Beamten fühlte sich bei der Vorstellung besonders wohl in seiner Haut.
Als sie das Zentrum von Edinburgh erreichten, bat Rebus Siobhan, einen Umweg über die George Street zu machen. Von Janice weit und breit nichts zu sehen...
»Wissen Sie was?«, fragte Rebus Mearn.
Sie befanden sich in einem Vernehmungsraum in St. Leonard's. Mearn hatte eine Tasse Tee vor sich stehen. Ein Arzt hatte sich sein Bein angesehen: bloß verstaucht.
»Was?«
»Sie sagten, Ihnen wäre klar gewesen, dass man Darren Rough für Billys Verschwinden verantwortlich machen würde, und dass Ihnen das ein bisschen Zeit verschafft hätte, sich einzurichten.«
»Das stimmt.«
»Aber ich kann mir eine bessere Möglichkeit vorstellen, einen Plan, der sichergestellt hätte, dass man die Suche nach Billy ganz aufgeben würde.«
Mearn machte ein interessiertes Gesicht. »Nämlich?«
»Wenn Rough gestorben wäre«, antwortete Rebus leise. »Ich meine, wir hätten schon eine Zeit lang weiter nach Billy gesucht, auch wenn wir alle erwarteten, bestenfalls eine Leiche zu finden, irgendwo versteckt. Aber früher oder später hätten wir den Fall zu den Akten gelegt.«
»Ich hab an die Möglichkeit gedacht.« Rebus setzte sich. »Tatsächlich?«
Mearn nickte. »Ja, nachdem ich von dem Mord an ihm gelesen hatte. Ich dachte, das wäre die Antwort auf unsere Gebete.«
Rebus nickte. »Und deswegen haben Sie es getan?« Mearn runzelte die Stirn. »Was getan?«
»Darren Rough getötet.«
Die zwei Männer starrten einander an. Dann breitete sich auf Mearns Gesicht ein Ausdruck des Entsetzens aus. »N-n-nein«, stotterte er.
»Nix da, nix da...« Seine Hände krampften sich um die Tischkante.
»Ich nicht, das war ich nicht!«
»Nein?« Rebus setzte eine überraschte Miene auf. »Aber Sie haben doch das perfekte Motiv.«
»Herrgott, ich wollte ein neues Leben anfangen. Wie hätte ich das
hoffen können, wenn ich jemand umgelegt hätte?«
»Viele Leute tun das, Eddie. Ich krieg jedes Jahr mehrere von der Sorte hier rein. Ich hätte eigentlich gedacht, dass es für jemanden mit paramilitärischer Ausbildung kein größeres Problem darstellen würde.«
Mearn lachte. »Wo haben Sie denn das her?«
»Das erzählt man sich jedenfalls in der Siedlung. Als Joanna mit Billy schwanger wurde, sind Sie abgehauen, um sich den Terroristen anzuschließen.«
Mearn beruhigte sich, blickte sich um. »Ich glaube, ich will einen Anwalt«, sagte er leise.
»Ist schon unterwegs«, erklärte Rebus.
»Was ist mit Billy?«
»Man hat seine Mutter angerufen. Sie ist ebenfalls unterwegs. Wahrscheinlich schon entsprechend aufgetakelt für die Pressekonferenz.«
Mearn kniff die Augen zusammen. »Scheiße«, flüsterte er. Dann:
»Tut mir Leid, Billy.« Als er Rebus ansah, hatte er Tränen in den Augen. »Was hat Sie auf unsere Spur gebracht?«
Eine alte Schnüfflerin und eine zugeparkte Straße, hätte Rebus antworten können. Aber er brachte es nicht übers Herz. Draußen vor St. Leonard's waren Kameras und Mikrofone aufgefahren; in solcher Zahl, dass der Bürgersteig überquoll und auch die Fahrbahn von Journalisten wimmelte. Autos und Lieferwagen hupten und übertönten fast Joanna Hormans emotionale Schilderung von ihrer Wiedervereinigung mit ihrem Sohn. Von Ray Heggie weit und breit nichts zu sehen; Rebus fragte sich, ob sie ihn vor die Tür gesetzt hatte. Und bei klein Billy Boy war nicht allzu viel Gefühlsseligkeit zu bemerken. Seine Mutter hörte nicht auf, ihn an sich zu drücken, ihn beinah zu zerquetschen, während die Fotoreporter sie anfeuerten, um weitere Bilder zu schießen. Sein Gesicht war über und über mit Lippenstiftabdrücken bedeckt. Als sie im Begriff war, eine weitere Frage zu beantworten, bemerkte Rebus, dass Billy versuchte, sich das Gesicht sauber zu wischen.
Inmitten der Reporter waren auch allerlei Zivilisten auszumachen: Passanten und Gaffer. Eine Frau in einem GGP-T-Shirt - Van Brady - versuchte, Flugblätter zu verteilen. Auf der anderen Straßenseite saß ein Junge auf seinem Fahrrad, die Füße auf den Pedalen und eine Hand an einem Laternenmast, um die Balance zu halten.
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