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Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten

Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten

Titel: Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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SAUNDERS stand, tendierte schon zu einer gewissen Reizbarkeit. Oakes verengte die Augen und stellte sich vor, wie das schnauzbärtige Gesicht gegen eine Mangel gepresst wurde, stellte sich die Kraft vor, die erforderlich gewesen wäre, um dieses Gesicht vollständig durch die Walzen zu kurbeln. Oakes rieb sich über den Magen: nicht ein Gramm Fett, trotz des Schweinefraßes, den sie ihm aufzutischen versuchten. Er hielt sich an Gemüse und Obst, Wasser und Säfte. Musste klar im Kopf bleiben. Viele der anderen Häftlinge hatten in den Leerlauf geschaltet: Der Motor heulte wie verrückt, brachte sie aber keinen Schritt weiter. Eine längere Haftstrafe konnte schon eine solche Wirkung haben, konnte einen dazu bringen, dass man anfing, an Dinge zu glauben, die gar nicht stimmten. Oakes blieb auf dem Laufenden, hatte Illustrierte und Zeitungen abonniert, sah sich im Fernsehen Nachrichtensendungen an und sonst gar nichts - ausgenommen vielleicht ein bisschen Sport. Aber selbst Sport war eine Art Novocain. Statt auf die Glotze zu starren, beobachtete er lieber die Gesichter der anderen, sah ihre schweren Lider, ihre Abgestumpftheit; nicht besser als Babys, denen man löffelweise behagliche Zufriedenheit einlöffelte, Bäuche und Hirne, die bis zum Rand mit aufgewärmter Jauche abgefüllt wurden.
    Er fing an, einen Beatles-Song zu pfeifen: »Good Day, Sunshine«, und fragte sich, ob auch nur einer der Wärter den kannte. Möglichkeit zu einer weiteren Reaktion. Dann aber ging die Tür auf, und sein Rechtsanwalt kam herein. Sein fünfter Anwalt in sechzehn Jahren, kein schlechter Schnitt. Dieser Anwalt war jung - Mitte zwanzig - und trug immer blaue Blazer und cremefarbene Hosen, eine Kombination, in der er wie ein Bubi aussah, der Papis Sachen anprobierte. Die Blazer hatten Messing glänzende Knöpfe und komplizierte Wappen auf der Brusttasche.
    »Ahoi, Schiffskamerad!«, rief Oakes, ohne sich auf seinem Stuhl zu rühren.
    Der Anwalt setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Oakes verschränkte die Hände kettenrasselnd hinter dem Kopf.
    »Wär's wohl möglich, meinem Mandanten die Dinger abzunehmen?«, fragte der Anwalt.
    »Sind nur zu Ihrer eigenen Sicherheit, Sir.« Die Standardantwort.
    Oakes kratzte sich mit beiden Händen den rasierten Schädel.
    »Wissen Sie, die Taucher und Astronauten. Tragen Bleischuhe, geht in ihrem Job nicht anders. Ich schätze, wenn ich diese Ketten mal loswerde, steig ich wie ein Luftballon an die Decke. Dann kann ich mir meine Brötchen im Zirkus verdienen: die menschliche Fliege! Sehen und staunen Sie, wie er die Wände hochspaziert! Mann, stellen Sie sich bloß die Möglichkeiten vor. Ich kann vor Fenstern im zweiten Stock levitieren und zugucken, wie die ganzen Ladys sich bettfertig machen.« Er wandte sich den Wärtern zu. »Jemand von euch verheiratet?«
    Der Rechtsanwalt ignorierte das alles geflissentlich. Er hatte einen Job zu erledigen, klappte seinen Aktenkoffer auf und holte den Papierkram heraus. Wo immer Anwälte hingingen, begleitete sie Papier. Ganze Fuder von Papier. Oakes bemühte sich, nicht interessiert auszusehen.
    »Mr. Oakes«, sagte der Anwalt, »jetzt geht es nur noch um Details.«
    »Ich hab schon immer eine Schwäche für Details gehabt.«
    »Ein paar Formulare, die von verschiedenen Amtspersonen unterschrieben werden müssen.«
    »Gehört, Jungs?«, rief Oakes den Wärtern zu. »Ich hab's euch ja gesagt, dass kein Gefängnis Cary Oakes festhalten kann! Okay, ich hab fünfzehn Jahre gebraucht, aber hey, kein Mensch ist vollkommen.« Er lachte und wandte sich seinem Anwalt zu. »Und wie viel Zeit dürften diese... Details noch so in Anspruch nehmen?«
    »Eher Tage als Wochen.«
    Oakes' Herz pumpte wie verrückt. Seine Ohren rauschten vor Aufregung, vor Angst und Vorfreude. Tage ...
    »Aber ich hab meine Zelle noch gar nicht fertig gestrichen. Ich will sie dem nächsten Gast möglichst hübsch hinterlassen.«
    Endlich lächelte der Anwalt, und Oakes wusste in dem Augenblick Bescheid: arbeitete sich in Papis Kanzlei nach oben; von den älteren Kollegen geschmäht, von den gleichaltrigen mit Argwohn betrachtet.
    Spionierte er sie aus, petzte er beim Alten? Wie konnte er sich bewähren? Wenn er freitagabends mit ihnen einen trinken ging, seinen Schlips lockerte und seine Haare zerwühlte, fühlten sie sich unbehaglich. Wenn er Abstand hielt, war er ein kalter Fisch. Und der Vater? Der Alte wollte nicht riskieren, dass ihn jemand der Vetternwirtschaft bezichtigte, der

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