Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
nimmt? Wenn Sie Ihren Alten umlegen, sind Sie bloß um einen im Rückstand.«
Er schmunzelte noch immer vor sich hin, als der Anwalt aus dem Zimmer geführt wurde.
7
Junge Ausreißer hielten sich in der Regel immer an dieselben paar Routen: per Bus, Zug oder Anhalter nach London, Glasgow oder Edinburgh. Es gab Organisationen, die ein Auge auf Ausreißer hatten, und auch wenn sie den besorgten Familien nicht immer verrieten, wo sich die Betreffenden aufhielten, konnten sie ihnen wenigstens bestätigen, dass sie am Leben und wohlauf waren.
Aber ein Neunzehnjähriger, jemand mit einem eigenen Einkommen, der konnte überall sein. Kein Ziel war zu weit - sein Pass war nicht aufgefunden worden. Er nahm ihn als Altersnachweis mit, wenn er in einen Klub wollte. Dämon hatte ein Girokonto bei der örtlichen Bank, komplett mit Bankcard, und noch ein Sparkonto bei einer Bausparkasse in Kirkcaldy. Die Bank konnte einen Versuch wert sein. Rebus nahm den Hörer ab.
Der Filialleiter behauptete erst, er brauchte unbedingt etwas Schriftliches, ließ sich aber erweichen, als Rebus versprach, ihm später etwas zuzufaxen. Rebus wartete, während der Mann sich kundig machte, und bis der sich wieder meldete, hatte er schon ein halbes Dorf hingekritzelt, komplett mit Flüsschen, Grünland und Tagebau.
»Die letzte Abhebung erfolgte an einem Automaten im Edinburgher West End. Hundert Pfund am Fünfzehnten.«
Der Abend, an dem Dämon ins Gaitano's gegangen war. Hundert Pfund kamen Rebus ziemlich viel vor, selbst für eine lustige Nacht in der Großstadt.
»Seitdem nichts mehr?«
»Nein.«
»Wie aktuell ist das?«
»Das ist der Stand von gestern Abend bei Geschäftsschluss.«
»Könnte ich Sie um einen Gefallen bitten, Sir? Ich möchte, dass dieses Konto im Auge behalten wird. Wenn wieder etwas abgehoben wird, möchte ich sofort informiert werden.«
»Das brauche ich schriftlich, Inspector. Und wahrscheinlich werde ich auch die Genehmigung meiner Zentrale benötigen.«
»Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Mr. Brayne.«
»Baine« , sagte der Bankmensch kalt und legte auf.
Rebus rief die Bausparkasse an und musste das gleiche Palaver über sich ergehen lassen, ehe man ihm sagte, Dämon habe sein Konto seit über zwei Wochen nicht angerührt. Schließlich wählte er noch die Nummer der Gayfield-Wache und verlangte nach DC Hawes. Sie klang nicht allzu begeistert, wieder von ihm zu hören.
»Was gibt's über Gaitano's zu berichten?«, fragte er.
»Wird allgemein Guiser's genannt. Ziemlich feiner Laden. Allein letztes Jahr zwei Messerstechereien, eine im Klub selbst, eine auf der Gasse nach hinten raus. Dieses Jahr ging's ruhiger zu, was wahrscheinlich an einer strikteren Einlasspolitik liegt.«
»Sie meinen breiter gebaute Rausschmeißer.«
»Front of house manager , bitte schön. Die Anwohner beschweren sich noch immer über den Lärm bei Ladenschluss.«
»Wem gehört das Ganze?«
»Charles Mackenzie, bekannt als ›Charmer‹.«
Ein paar Uniformierte hatten sich mit Mackenzie wegen Dämon Mich unterhalten, und er hatte ihnen freiwillig das Überwachungsband angeboten, das seitdem in Gayfield vor sich hin vegetierte.
»Wissen Sie, wie viele Vermisste wir pro Jahr haben?«, fragte Hawes seufzend.
»Sie haben's mir gesagt.«
»Dann dürfte Ihnen klar sein, dass die, solang keine konkreten Hinweise auf eine Straftat vorliegen, nicht direkt zu unseren vordringlichsten Anliegen gehören. Es hat weiß Gott schon Gelegenheiten gegeben, wo ich am liebsten selbst die Flatter gemacht hätte.«
Rebus dachte an seine nächtlichen Autofahrten, lange, ziellose Stunden, die keinen anderen Zweck hatten, als die Leerstellen in seinem Leben auszufüllen. »Geht's uns nicht allen so?«, sagte er.
»Hören Sie, ich weiß, dass das für Sie ein Freundschaftsdienst ist...«
»Ja?«
»Aber wir haben doch alles getan, was wir tun konnten, oder?«
»So ziemlich.«
»Also, was soll das alles noch?«
»Ich weiß auch nicht genau.« Rebus hätte ihr sagen können, dass es um die Vergangenheit ging, um etwas, das er Janice Playfair und Brian Mich schuldete - und um das Andenken an einen Freund, den er früher mal Mitch genannt hatte. Aber irgendwie hatte er nicht das Gefühl, dass es was genützt hätte, das einer unbeteiligten Person zu erklären. »Noch eine letzte Sache«, sagte er also stattdessen. »Haben Sie mir ein Standfoto von dieser Frau besorgt?«
Das Gaitano's war kaum mehr als eine massive schwarze Tür mit einem Neonschriftzug
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