Inspector Rebus 10 - Die Seelen der Toten
Backsteinblock in der Nähe der Newhaven Road umgezogen.
»Bis zum Meer durchgehend bergab«, hatte sie zu ihrem Vater gesagt. »Und du solltest mal dieses Ding ungebremst sehen.« Womit sie ihren Rollstuhl meinte. Rebus hatte ihr einen motorisierten spendieren wollen, aber sie hatte abgewinkt.
»Das ist gut für die Muskeln«, hatte sie gemeint. »Und außerdem werde ich ja nicht lange in dem Ding sitzen.«
Vielleicht nicht, aber der Weg zurück zur vollständigen Gehfähigkeit erwies sich als steinig. Sie ging nur zweimal die Woche in die Physiotherapie; den Rest der Zeit übte sie allein zu Haus. Der Unfall schien sowohl ihr Rückgrat als auch ihre Beine in Mitleidenschaft gezogen zu haben.
»Mein Gehirn sagt ihnen, was sie tun sollen, aber manchmal wollen sie einfach nicht hören.«
Zur Haustür ihres Wohnblocks führte eine kleine Holzrampe hinauf. Ein Freund eines Freundes hatte sie für sie gebaut. Eines der Schlafzimmer in der Wohnung war zu einer behelfsmäßigen Turnhalle umfunktioniert worden; an einer Wand lehnte ein großer Spiegel, und den größten Teil des Raums nahm ein Barren ein. Die Türen waren eng, aber Sammy hatte bewiesen, dass sie es ausgezeichnet schaffte, von einem Zimmer ins andere zu fahren, ohne sich Fingerknöchel oder Ellbogen aufzuschürfen.
Ned Farlowe öffnete Rebus die Tür. Ned hatte inzwischen einen Job in der Redaktion einer der örtlichen Gratiswochenzeitungen bekommen. Die Bürozeiten hielten sich in Grenzen, wodurch ihm genügend Zeit blieb, Sammy bei ihren Rehaübungen zu helfen. Die zwei Männer trauten einander immer noch nicht so recht über den Weg - schafften es Väter jemals wirklich, den Männern zu vertrauen, die mit ihren Töchtern schliefen? -, aber Ned schien sich für Sammy ein Bein auszureißen.
»Hallo«, sagte er. »Sie trainiert grad. Lust auf einen Tee?«
»Nein, danke.«
»Ich koch gerade was zum Abendessen.« Ned verschwand schon wieder in der langen, schmalen Küche. Rebus wusste, dass. er bloß gestört hätte.
»Ich schau nur kurz bei ihr rein...«
»Okay.«
Aus der Küche roch es wie im Engine Shed: würzig und vegetarisch. Rebus ging den Korridor entlang und bemerkte die Schrammen, wo der Rollstuhl nicht ganz herumgekommen war. Aus dem Turnschlafzimmer drang Musik, ein Discobeat. Sammy lag in ihrem schwarzen Gymnastikanzug auf dem Boden und versuchte, ihre Beine dazu zu bringen, irgendwelche Bewegungen zu machen. Ihr Gesicht war ganz rot vor Anstrengung, Haarsträhnen klebten ihr an der Stirn. Als sie ihren Vater sah, legte sie den Kopf auf den Boden.
»Stellst du bitte das Ding ab?«, sagte sie.
»Ich könnte dir einfach zuschauen.«
Aber sie schüttelte den Kopf. Sie mochte es nicht, wenn er sie beim Training beobachtete. Es war ihr Kampf, ein privates Duell mit ihrem Körper. Rebus schaltete den Kassettenrekorder aus.
»Kennst du's?«
»Chic, ›Le Freak‹. Ich bin in den Siebzigern durch genügend miese Discos gezogen.«
»Ich kann dich mir in Schlaghosen gar nicht vorstellen.«
»Herzschlaghosen.«
Sie hatte sich in eine sitzende Position hochgestemmt. Er tat nur den einen symbolischen Schritt nach vorn, um ihr zu helfen, da er wusste, dass sie ihn, wenn er näher gekommen wäre, ja doch nur weggescheucht hätte.
»Was macht dein Antrag auf Behindertenrente?«
Sie verdrehte die Augen, griff nach einem Handtuch, wischte sich das Gesicht trocken. »Ich dachte, in Sachen Bürokratie könnte mich nichts mehr erschüttern. Das Problem ist, dass ich nicht behindert bleiben werde.«
»Natürlich nicht.«
»Und so gibt's alle möglichen Komplikationen. Dazu kommt noch der Job bei SWEEP, der mir weiterhin offen steht.«
»Aber das Büro ist doch im dritten Stock.« Er setzte sich neben sie auf den Boden.
»Ich könnte zu Haus arbeiten.«
»Wirklich?«
»Aber ich will nicht. Ich will mich nicht in diesen vier Wänden verkriechen.«
Rebus nickte. »Wenn du irgendwas brauchst...«
»Hast du irgendwelche Discokassetten?«
Er lächelte. »Ich stand damals mehr auf Rory Gallagher und John Martyn.«
»Kein Mensch ist vollkommen«, sagte sie und legte sich das Handtuch um den Nacken. »Wozu mir einfällt: Wie geht's Patience?«
»Prima.«
»Ich telefonier oft mit ihr.«
»Ach ja?«
»Sie meint, sie redet mehr mit mir als mit dir.«
»Ich glaub nicht, dass das stimmt.«
»Nein?«
Rebus sah seine Tochter an. War sie schon immer so inquisitorisch gewesen? Hing das mit ihrem Unfall zusammen?
»Wir kommen prima miteinander
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