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Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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nicht, weil man ihn darum gebeten hatte. Claudia Ricardo setzte sich dicht neben ihn, zu dicht. Ihr Parfüm raubte ihm den Atem. Vermutlich war es Patchouli. Sie breitete ihren langen bestickten Rock nicht nur über ihre eigenen Beine aus, sondern auch ein paar Zentimeter über seine, und sagte:
    »Darf ich Ihnen etwas Lemon Curd anbieten, Chief Inspector? Bei Ihrem letzten Besuch habe ich welches gekocht. Sicher erinnern Sie sich noch daran. Sie haben gemeint, Sie würden es gerne essen.«
    Bei diesem Satz kam Maeve Tredown mit Tee, einem Teller Plätzchen und einem Topf Lemon Curd herein. Außerdem lag auf dem Tablett ein Löffel, als wäre sie eine Krankenschwester, die ihm seine Medizin brachte. Das alles hätte vielleicht nicht so seltsam gewirkt, wenn man den Deckel auf dem Marmeladentopf belassen hätte. Lächelnd stand Maeve vor ihm wie ein Kindermädchen vor seinem Schützling. Ihre Kleidung erinnerte an eine Uniform: graues Kostüm und weiße Bluse. Ihre steife Blondhaarfrisur glänzte wie ein gelber Seidenhut. Erwartete man von ihm tatsächlich, dass er da saß und Marmelade verspeiste? Er hob Claudias Rock von seinen Beinen, stand auf, nahm Maeve das Tablett ab und stellte es auf den Tisch. Dann drehte er sich um und sagte in einem Ton, der einem Gast niemals zugestanden hätte:
    »Setzen Sie sich bitte.« Dies galt Maeve.
    Sie tat es. Claudia kicherte.
    »Ich weiß nicht, warum Sie mich hierhergebeten haben«, fuhr er fort, »aber das werden Sie mir sicher zu gegebener Zeit mitteilen. Inzwischen möchte ich, dass Sie mir etwas über das Manuskript erzählen, das Sam oder Samuel Miller im Juni 1995 Mr. Tredown geliehen oder verkauft hat.«
    »Wir haben uns nie in Owens Geschäftsangelegenheiten eingemischt«, meinte Maeve.
    Geschäftsangelegenheiten ? Als sei Tredown Versicherungsmakler gewesen und kein weltberühmter Autor. Außerdem hielt Wexford diese Aussage für eine Lüge. Er war ziemlich davon überzeugt, dass Maeve und Claudia jedes Geschäft abgewickelt hatten, das hier gelaufen war. Claudia oder Maeve oder beide hatten mit Tredowns Agenten verhandelt, mit seinen Verlegern, seinen Steuerberatern und seinen Finanzberatern. In Geschäftsdingen war der Autor gänzlich unbeleckt, wie man früher gesagt hätte. »Sie haben also ein solches Manuskript nie gesehen und auch nie etwas davon gehört?«
    Claudia blickte mit ernster Miene zu ihm auf. »Dusty«, sagte sie, wobei sie den Namen beinahe lustvoll zerdehnte, »Dusty hat Owen nie viel zu Gesicht bekommen. Vielleicht sollte ich umgekehrt sagen, dass Owen ihn nie viel zu Gesicht bekommen hat. Owen mochte es nicht, wenn man ihn beim Schreiben störte, das dürfen Sie nicht vergessen. Und geschrieben hat er meistens.«
    Dafür haben wir schon gesorgt , lautete der unausgesprochene ergänzende Satz. Wexford, der immer noch vor ihnen stand, sagte: »Ende September 1998 hat Miller Sie erneut aufgesucht.«
    »Möglich«, antwortete Maeve. »Ungefähr um diese Zeit. Das genaue Datum weiß ich nicht mehr sicher.«
    »Ich schon. Sie haben ihm Geld gegeben. Warum?«
    »Also wirklich! Das habe ich Ihnen doch schon erzählt, oder mein Schwiegerweib hat es getan.« Ihr verstohlenes Lächeln galt Claudia. »Es war ein Hochzeitsgeschenk. Er hatte eine Frau gefunden, eine von den Obstpflückerinnen. Er wollte heiraten.«
    »War nicht von tausend Pfund die Rede?«
    »Da irren Sie sich.« Claudia lachte stumm los. »Mit einer solchen Summe wüssten wir Besseres anzufangen.«
    Er setzte sich wieder, diesmal allerdings auf einen harten Stuhl in gehöriger Entfernung von ihr. Eine Wespe war ins Zimmer geflogen und drehte langsam ihre Runden, ehe sie den offenen Marmeladetopf ansteuerte. Er sah ihr zu, wie sie auf die glatte goldgelbe Oberfläche krabbelte. »Miller hatte das Buch gelesen, das Mr. Tredown aus seinem Manuskript zusammengebraut hat, und hat Sie wegen Plagiats erpresst. Weil man sein Werk als das von Mr. Tredown ausgegeben hat.«
    »Ich weiß, was ein Plagiat ist, herzlichen Dank.« Claudia bebte förmlich vor stummer Heiterkeit, doch dann wurde sie plötzlich ernst. Stirnrunzelnd wischte sie ihre pechschwarz gefärbten Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Wie ist er gestorben? Ich meine Dusty.«
    Wusste sie das nicht? Dann fiel es Wexford wieder ein. Bis auf ihn und sein diskretes Team wussten nur Irene McNeil und Bridget Cook, wie Miller umgekommen war. Er war fast hundertprozentig sicher, dass Miller und Claudia Ricardo eine Beziehung gehabt hatten,

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