Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote

Titel: Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
Vom Netzwerk:
ich«, warf Wexford ein, »habe jetzt einen Termin bei Carina Laxton.«
    Carina glich einem Kind mit einem vorzeitig gealterten Gesicht. Ihre blassblonden Haare waren zu zwei dünnen Zöpfen geflochten, sie trug keinerlei Makeup, und ihre runde Brille hätte auch eine kurzsichtige Achtjährige tragen können. Ihr weißer Kittel hatte vorn grünliche Flecken, die irgendwie abstoßender als Blutflecken wirkten. Normalerweise zeigte sie nicht sonderlich viel Mitgefühl für zart besaitete Polizisten, aber diesmal hatte sie die Relikte auf ihrem Seziertisch zugedeckt.
    »Woran ist er gestorben?«, wollte Wexford wissen.
    Carina zog ihre fast unsichtbaren Augenbrauen hoch. »Woher wissen Sie, dass es sich um einen Mann handelt?«
    »Aufgrund der Größe und der Kleidungsstücke aus der Küche. Die Leiche trug Männerunterwäsche.«
    »Gut, gut. Ein wenig voreilige Schlüsse, oder? Trotzdem, es war ein Mann. Woran er gestorben ist, weiß ich nicht. Wenn jemand schon so lange tot ist, wird es schwierig. Ziemlich wahrscheinlich eine natürliche Todesursache. Vielleicht das Herz oder ein Schlaganfall. Ich kann es nicht sagen. Das Herz fehlt, und am Schädel sind nicht viele Gewebereste. Eines kann ich Ihnen sagen: Er war ein großer Mann, ungewöhnlich groß. Ich weiß, das metrische System ist Ihnen egal. Sie sind ja so rückständig. Sagen wir mal zwischen sechs Fuß drei und sechs Fuß fünf, also ein Meter neunzig bis einsfünfundneunzig.«
    »Wie alt war er?«
    »Mitte vierzig, vielleicht fünfundvierzig. Höchstens fünfzig. Und der Todeszeitpunkt liegt zwischen sieben und zehn Jahren zurück.«
    »Dann also nicht so lange wie bei dem anderen?«
    »Das haben Sie gesagt, nicht ich«, wehrte Carina ab. »Fragen Sie mich noch mal, sobald ich ihn näher untersucht habe. Dann werde ich hoffentlich mehr wissen.«
    Wexford stellte sich den Medien und berichtete ihnen fast alles, was er über die beiden Leichen wusste. Die irrtümlich genommene DNA-Probe von einem Menschen, der in Wirklichkeit keinerlei Verwandtschaft mit dem Toten aufweisen konnte, ließ er unerwähnt. Er informierte sie über die Kleidungsstücke, ohne diese herzuzeigen. Seiner Ansicht nach genügte eine Beschreibung: ein weißes T-Shirt mit einem aufgedruckten schwarzen Skorpion, Jeans, schwarze Turnschuhe mit grauen Diagonalstreifen, graue Socken. Außerdem sagte er, dass man das lila Bettlaken, worin die Leiche aus dem Graben eingewickelt gewesen war, erst noch identifizieren müsse.
    Als er um fünf Minuten nach neunzehn Uhr das Gebäude verlassen wollte, kam ihm Hannah nachgelaufen. Er hatte gerade die automatische Türanlage erreicht, die bereits zögernd aufgehen wollte. Als er sich umdrehte, glitt sie wieder zu.
    »Guv, Chadwick war nicht als staatlich geprüfter Ingenieur eingetragen und stand auch nicht im MPDS-Register. Doch dann hat es mir gedämmert. Wir sind von einem dreijährigen Studium ausgegangen, doch in Wirklichkeit dauert es vier Jahre. Da er aber nur bis 1996 auf der Universität gewesen war, sieht es so aus, als hätte er sein Studium abgebrochen.«
    »Oder er wurde ermordet«, fuhr Wexford fort.
    »Oder das, Guv. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ihn handelt, nicht wahr?«
    Für die Fahrt nach Forby brauchte er eine Viertelstunde. Er belegte die letzte Lücke auf dem Parkplatz vor dem Rathaus und stieg die Treppe zum Eingang hinauf, wo ihm ein Anschlag verriet, dass es sich um die Eröffnungsveranstaltung der Kingsmarkhamer Bürgerinitiative für die Gesundheit afrikanischer Frauen handelte. Eigentlich hatte er gehofft, er könnte unauffällig hineinhuschen und die Veranstaltung von einem der hinteren Plätze aus verfolgen, aber kaum war er drinnen, entdeckte ihn auch schon seine Tochter Sylvia, hakte ihn unter und bugsierte ihn schleunigst aufs Podium hinauf.
    In einem Anflug von Geistesgegenwart gelangen ihm einige Bemerkungen darüber, dass die Polizei das Problem weiblicher Genitalverstümmelung sehr ernst nehme und dass man bei dieser Aufgabe, bei der es mehr um Prävention als um strafrechtliche Verfolgung gehe, stark auf die Mithilfe der somalischen Gemeinschaft angewiesen sei. Während er Plattitüden und hohle Versprechungen abspulte, die er selbst schon Dutzende Male gesagt und gehört hatte, merkte er erst, wie wenig er eigentlich über diese Form der Beschneidung wusste. Als er vom Podium abging und sich auf den leeren Platz neben seiner Frau setzte, dröhnte ihm der Beifall des Publikums hohl in den

Weitere Kostenlose Bücher