Inspector-Wexford 22 - Der vergessene Tote
in diesem Graben gelegen hätte.«
»Sie haben keine Ahnung, wo er jetzt sein könnte?«
»Wie gesagt, das letzte Mal habe ich etwas gehört, als er hierherkommen wollte, und das ist elf Jahre her. Er hat sich eingebildet, er könnte irgendeine Frau mitbringen. Ganz schön dreist. Meinetwegen kann er ruhig tot sein.«
Barry bedauerte es regelrecht, dass er nach Cardiff gefahren war, noch dazu an einem Sonntag. Ein Anruf hätte denselben Zweck erfüllt, aber er hatte geglaubt, man müsste mit dieser Frau sensibel umgehen. Wexford legte sehr viel Wert auf Verständnis und Mitgefühl, auch wenn Barry dahinter eher eine Anweisung von höherer Ebene vermutete als Wexfords persönliche Meinung. Jetzt schien allerdings alles gesagt. Wenn Peter Darracott nicht jener geheimnisvolle Mann war, den man vor elf Jahren begraben hatte, dann war es auch unwichtig, wo er sich derzeit aufhielt.
»Äh, nun, das wäre dann alles, Mrs. Hughes«, sagte er. Das Ganze hatte drei Minuten gedauert, die Anfahrt zweieinhalb Stunden.
Sie hatte sich bereits wieder die Sunday Times geschnappt und war wenigstens noch so höflich, im Stehen weiterzulesen. »Tschüss. Passen Sie auf sich auf.«
Das ist die banalste von allen hohlen Phrasen, dachte Barry, während er die Tür hinter sich zuzog. Wer würde schon vor dem Überqueren der Straße eher nach links und rechts schauen oder sich beim Autofahren ans Tempolimit halten, nur weil jemand zu ihm gesagt hatte, er solle aufpassen? Auf dem Weg zum Bahnhof stand ein Einkaufszentrum. Barry ging hinein und entdeckte einen Musikladen. Wie immer gab es nur eine klägliche Abteilung mit klassischer Musik. Sein Lieblingskomponist war Bellini, auch wenn er sich manchmal ins Terrain von Donizetti vorwagte. Leute, die diese beiden verwechselten, verachtete er. Zum Glück hatte der Laden zufällig »La sonnambula« vorrätig. Obwohl er diese Oper gut kannte, war er ganz froh, dass er sie sich während der langen Rückfahrt nach Paddington anhören konnte, auch wenn die anderen Passagiere durch raschelnde Chipstüten die Musik unterbrechen würden, während auf ihren eigenen Handys Popmusik ertönte. Vor einem Zeitungsstand entdeckte er die Sunday Times . Auf der Aufmacherseite warb ein Hinweis für jenen Artikel in der Buchbeilage, den Dilys Hughes buchstäblich verschlungen hatte: Spurlos verschwunden. Der verlorene Vater von Selina Hexham. Barry wurde verleitet, den Artikel selbst zu lesen, und kaufte eine Zeitung. Erst jetzt merkte er, wie schwer diese Ausgabe mit sämtlichen Beilagen war.
Kaum saß er im Zug, blätterte er den Hauptteil durch, um über die neuesten Nachrichten auf dem Laufenden zu sein, den Rest entsorgte er bis auf die Buchbeilage, die er, klein zusammengefaltet, in der Tasche seines mitgebrachten Regenmantels verstaute. Sie würde er abends zu Hause lesen. Die restliche Fahrt verbrachte er mit dem ungetrübten Genuss von Bellini.
»Wir wissen jetzt, dass die Überreste aus Grimbles Bungalow nicht Douglas Chadwick sind«, bemerkte Wexford. »Trotzdem gehört das T-Shirt mit dem Skorpion eindeutig dem Unbekannten aus dem Keller. Seine Haare befanden sich darauf, und auch Spuren seiner DNA. Dasselbe gilt für den Anorak, die Jeans und die Turnschuhe. Hat er sie im Myringhamer Oxfam-Laden gekauft, oder hat das ein anderer für ihn erledigt? Und warum hat sich niemand gemeldet und gesagt, er hätte dieses T-Shirt zu einem späteren Zeitpunkt gesehen? Hat er sich ausgezogen, bevor er in den Keller gegangen ist, oder hat jemand den Toten entkleidet? Und warum?«
»Vielleicht wollte er ein Bad nehmen«, warf Burden ein. Es war nicht klar, ob diese Bemerkung ernst oder nur witzig gemeint war.
»Dann hättest du ihn doch im Badezimmer gefunden und nicht im Keller. Laut Grimble ist die Kellertür nie geschlossen gewesen. Er hat sie nie geschlossen gesehen. Warum sollte er in diesem Punkt lügen?«
»Falls er den Typen im Keller umgebracht hat, vielleicht schon.«
»Das sehe ich nicht«, widersprach Wexford. »Angenommen, er hat den Mann im Keller ermordet. Warum sollte er die Tür dann überhaupt erwähnen?«
Das Klingeln des Telefons setzte diesem Meinungsaustausch ein Ende. Eine gewisse Mrs. Tredown wolle ihn sprechen, meldete die Stimme des Polizisten an der Pforte und fügte dann ziemlich verlegen hinzu, eigentlich meine er damit, dass es sich um zwei Mrs. Tredowns handle.
»Lassen Sie die beiden von jemandem heraufbringen, ja?«, sagte Wexford und fügte dann für Burden hinzu:
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