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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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er glaubte, Scotland Yard würde ihn verdächtigen, diesen einen Schuljungen in der Eichentruhe nebenan eingesperrt zu haben.
    Jury gab ihm seine Visitenkarte; über die Telefonnummer von Scotland Yard hatte er die der Polizeiwache von Stratford notiert. «Falls Sie sich doch noch an irgend etwas erinnern, rufen Sie mich bitte an.»
    Der Wächter nickte.
     
    Das gleiche wiederholte sich in dem Souvenirgeschäft auf der anderen Seite der Gärten, in dem die Pilger allen möglichen elisabethanischen Schnickschnack kauften: Tischsets, verkleinerte Modelle des Globe Theatre. Postkarten, Bilder und Anhänger. Keiner der gestreßten Verkäufer erkannte James Carlton Farraday auf dem Foto.
     
    Jury und eine betrübt dreinblickende Penny standen auf dem blumengesäumten Hauptweg. Es gab Quitten- und Mispelbäume, und die Luft des Spätsommers war schwer von dem Duft der Blumen und Kräuter.
    «Ich hab in diesem kleinen Buch hier gelesen, daß sie alle Blumen haben, die in Shakespeares Stücken vorkommen. Ob sie wohl auch Rosmarin haben?» Sie strich das lange Haar nach hinten. «Aber das ist keine Blume, oder?» Der Blick, den sie Jury zuwarf, war beinahe untröstlich. «Es ist zur Erinnerung.»

7
    James Carlton Farraday hatte es satt, gekidnappt zu sein.
    Er wußte nicht, wer ihn entführt hatte, wohin man ihn entführt hatte oder wozu er entführt worden war.
    Zuerst hatte er überhaupt nichts dagegen gehabt, aber inzwischen langweilte er sich. Er hatte es satt, immer in demselben Zimmer zu hocken – es war ziemlich klein und lag hoch oben unter dem Dach, wie eine Mansarde. Das Essen wurde auf einem Tablett durch eine längliche Öffnung in der Tür hereingeschoben. Wahrscheinlich war er in einem Turm, obwohl er noch keine Ratten gesehen hatte. Es gab jedoch eine Katze. Sie hatte sich entschlossen durch die Öffnung in der Tür gequetscht; wahrscheinlich wollte sie herausfinden, wie das war, gekidnappt zu sein. Die Katze – sie war grau mit weißen Pfoten – lag eingerollt am Fuß des eisernen Bettgestells und schlief. James Carlton teilte sein Essen mit ihr.
    Das Essen war in Ordnung, aber er hätte Brot und Wasser vorgezogen, wenigstens für ein paar Tage. Er fand es irgendwie unpassend, daß er Jell-O (oder wie immer sie das in England nannten) in einer kleinen Blechschüssel mit einem Rosenmuster bekam. Er selbst verabscheute Jell-O, aber die graue Katze war begeistert und leckte es immer sorgfältigst auf. Der Rest war gar nicht so übel, auch wenn er auf eine etwas unkonventionelle Art serviert wurde. Überhaupt nicht wie zu Hause, wo ihm seine alte Nanny gewöhnlich nur ein labbriges gekochtes Ei und trockenen Toast zum Frühstück auf sein Zimmer brachte. Junge, war er froh, daß er die los war.
    James Carlton hatte (wie er annahm) sämtliche Bücher gelesen, die je über Kidnapping geschrieben worden waren – über Leute, die in Türme gesteckt, auf die Teufelsinsel verbannt, in Verliese geworfen, von Zulus gefangengenommen, in Schlangengruben hinabgelassen oder in den Kofferraum eines Autos gesteckt worden waren. Kidnapping war sozusagen eine fixe Idee von ihm; er war nämlich davon überzeugt, daß Penny und er die Opfer einer solchen Aktion geworden waren. Es lag inzwischen Jahre zurück, und er war sich nicht einmal sicher, ob J. C. Farraday die Hand im Spiel gehabt hatte. Eigentlich nahm er es nicht an. J. C. schien ihm nicht der Typ zu sein. Amelia Blue hingegen, die würde sich alles greifen, was nicht niet- und nagelfest war – Babies inbegriffen –, nur war Amelia Blue damals überhaupt noch nicht in Erscheinung getreten. Wahrscheinlich hatte er in seinem Kinderwagen vor dem Supermarkt so niedlich ausgesehen, daß ihn einfach jemand geschnappt und dann das Weite gesucht hatte. Er fand es ziemlich dumm von Penny – die doch sonst so schlau war –, daß sie ihnen diese Geschichte abnahm, der zufolge ihre Mutter an irgendeiner komischen Krankheit gestorben sein sollte. Das war sie natürlich nicht.
    Nach all den Jahren suchte die Polizei bestimmt noch nach ihm (und nach Penny wohl auch), wenngleich sie mit Sicherheit nichts darüber hatte verlauten lassen. Seine richtigen Eltern würden die Suche nach ihm nie aufgeben, das wußte er. Erschwert wurde sie durch diese große Brille, die ihm Amelia Blue und J. C. aufgezwungen hatten. Und seine Entführer mußten ihm als Baby auch die Haare gefärbt haben; er hatte nämlich das Foto seiner Mutter gesehen, und die hatte hellbraunes Haar wie

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