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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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also nicht ganz sicher.»
    Sie lachte. «Doch, eigentlich schon. Aber was kümmert dich das überhaupt. Du wolltest mich ja nicht heiraten.»
    Auf diesen direkten Angriff war er nicht gefaßt gewesen. Hatte sie das in Italien gelernt? Was ihn am meisten an ihr verwirrte, war, daß sie die zurückhaltendste Frau der Welt sein konnte, gleichzeitig aber auch von einer unglaublichen Direktheit. An Vivian gab es nichts zu deuteln, nichts, worüber man stolperte, wenn man im Dunkeln nacheinander tastete. Und kein Wechselspiel von Licht und Schatten. Wo Vivian sich aufhielt, war es taghell.
    «Warum lächelst du?»
    Er änderte schnell seinen Gesichtsausdruck.
    «Und was zum Teufel tust du in Stratford, mitten im Juli? Du bist im Sommer nie irgendwohin gefahren und schon gar nicht in ein Touristenkaff.»
    «Tu ich immer noch nicht. Aber erinnerst du dich –» Er unterbrach sich mitten im Satz. Natürlich würde Vivian sich an Richard Jury erinnern. Oder vielmehr würde Jury sich an sie erinnern. Melrose war überzeugt, daß Jurys Interesse nicht nur rein beruflich gewesen war. Im Augenblick allerdings schien diese Kennington in seinem Hinterkopf herumzugeistern …
    «Erinnern – an was?»
    «Nichts. Nichts. Ich bin hier, weil Agatha sonst mit ihren Amerikanern auf Ardry End eingefallen wäre.»
    Vivian lachte. «Du warst schon immer viel zu nett zu ihr, Melrose. Und sie dankt es dir mit ihrer Unausstehlichkeit.»
    «Ich bin nicht nett zu ihr; außerdem ist es äußerst aufschlußreich, jemanden um sich zu haben, der unausstehlich ist. Man kann Reaktionen testen. Wie ein Torwart bei einem Fußballspiel. Aber lassen wir das – es ist wunderbar, daß du hier bist.»
    «Bist du dir da sicher?»
    Ihre Augen funkelten ihn über den Rand ihres Glases hinweg an. Was trank sie? Natürlich Campari mit Limone. Tranken sie das nicht alle da drüben? Er wußte, daß sein Ärger jeder Grundlage entbehrte. Aber warum mußte sie gerade jetzt auftauchen, völlig auf Gucci getrimmt mit ihrem schimmernden grünen Kleid und dem seidigen Haar, das wie italienisches Eis an den Seiten heruntertropfte. Wahrscheinlich sagte sie auch so schreckliche Dinge wie ciao .
    «Wie lange bleibst du?»
    «Oh, danke , kann ich vorher noch mein Glas austrinken?» Sie musterte ihn kühl und belustigt. «Morgen hole ich Franco in Heathrow ab. Er kommt aus Rom.»
    Franco. Heathrow. Rom. Das klang alles fürchterlich international.
    «Und dann … na ja, wenn du da bist, würde ich euch gern miteinander bekannt machen.»
    «Möchtest du nicht auf Ardry End Hochzeit feiern? Da findet seine ganze Familie Platz.»
    «Das ist nett von dir, Melrose.» Sie lächelte immer noch. «Agatha wird begeistert sein. Er ist nämlich ein Graf.»
    «Ein Graf .» Das war des Guten zuviel.
    «Sie haben auch ihre Adligen in Italien; du bist nicht der einzige mit einem Adelstitel.»
    «Ich habe keinen. Mit diesem Quatsch habe ich schon vor Jahren aufgeräumt. Wenn ich gewußt hätte, daß du so versessen darauf bist, hätte ich vielleicht den Earl und den Viscount et cetera beibehalten.»
    Sie sah zur Seite. «Das ist absurd. Ich lege keinen Wert darauf. Das weißt du genau. Er ist eben rein zufällig einer.»
    «Man ist nicht zufällig ein Graf.» Melrose sah immer nur diesen Fremden mit dem schwarzen Cape vor sich. «Kann er sich denn im Spiegel sehen?»
    Nun wurde Vivian zornig – und mit Recht, dachte er. «Oh, um Himmels willen …»
    Melrose rutschte noch tiefer in seinen Sessel und griff sich mit Klauenfingern an den Hals, um sie noch mehr zu provozieren.
    Dann dachte er an den Ausdruck in Detective Sergeant Laskos Gesicht. Genau das, was Stratford im Augenblick fehlte – noch ein kleiner Aderlaß.

15
    Für eine Siebzehnjährige war Stratford-upon-Avon nicht gerade der Garten Eden. Es gab keine Clubs, keine Diskos, keine Kinos, und auch auf der Straße war nichts los. Aber Honey Belle Farraday konnte man auf einer Kuhweide aussetzen, und sie würde trotzdem einen draufmachen.
    Heute abend ging sie mit wiegenden Hüften die Wood Street entlang, als handelte es sich um den Strip in Las Vegas. Und wenn Honey Belle die Hüften in den Sassoon-Jeans wiegte, geriet einiges ins Schwingen, etwa die prallen Brüste, kaum verhüllt von dem indischen Oberteil, dessen weißer Baumwollstoff so transparent war wie eine beschlagene Fensterscheibe. Dazu trug sie nur Armreifen, Reifenohrringe und Goldkettchen. Darunter war sie nackt; Honey Belle beschränkte sich gern auf das

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