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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Notwendigste.
    Stratford. Was für ein Kaff! Nichts als langweilige Theaterstücke und langweiliges Sightseeing. Man konnte den ganzen Tag am Pool des «Hilton» herumliegen und wurde doch nicht braun. Trotzdem tat sie nichts anderes, denn das bot ihr zumindest die Gelegenheit, ihren weißen Badeanzug aus Paris vorzuführen – ein paar winzige, von Schnüren zusammengehaltene Satinflicken. Der alte James hielt ihn für skandalös. Aber glaubte er, sie nahm ihm das ab? Wirklich komisch, sich vorzustellen, daß ihre eigene Mutter eifersüchtig auf sie war. Amelia hätte sie damals beinahe umgebracht, als sie sie mit Old James im elterlichen Schlafzimmer erwischt hatte, Honey Belle in nichts als ihrem durchsichtigen Babydoll. Na ja, so richtig passiert war eigentlich nichts. Aber erzähle das mal einer Amelia Blue.
    Sie überquerte die Straße, ging am «Goldenen Ei» vorbei und starrte durch die Glasfront auf Leute, die sich mit Eiern und Pfannkuchen vollstopften. Essen kam für sie natürlich nicht in Frage. Man kann nicht essen und gleichzeitig einen solchen Körper haben, dachte sie, während sie sich mit violett lackierten Fingernägeln über den Bauch strich, der so flach war wie ein Bügelbrett. Ein Werbespot für chinesisches Essen ging ihr durch den Kopf: « Gib acht auf deinen schönen Körper, gib acht auf deinen hübschen Bauch! »Junge, Junge, und wie sie auf ihren Bauch achtgab. Bei dieser Vorstellung seufzte sie gerade vor Wonne, als zwei Frauen mit Einkaufstüten an ihr vorbeigingen. Sie waren so etwa fünfundvierzig, fünfzig, dachte sie, während sie ihnen nachblickte. Sie wunderte sich, wie jemand so lange leben konnte, ohne sich umzubringen.
    Honey Belle hatte nur vor einem Angst: ihre gute Figur zu verlieren, alt und runzlig zu werden. Sie sah, wie ihre eigene Mutter abbaute, obwohl sie zugeben mußte, daß Amelia ihr Äußeres nicht vernachlässigte. Zum Glück hatte sie zumindest früher einmal toll ausgesehen, und Gott sei Dank war ihr Daddy groß und blond und ein echter Frauenheld gewesen. Sie vermutete, Amelia hatte es nicht mehr ausgehalten, die zweite Geige neben der jeweiligen Favoritin zu spielen, und ihn deshalb verlassen. Honey Belle fragte sich kichernd, ob ihre Mutter überhaupt ahnte, wie sehr ihr Daddy seine kleine Honey Belle gemocht hatte.
    Sie kreuzte die Einmündung einer Gasse mit vielen kleinen Geschäften und dachte daran, daß Papa James und Amelia Blue sie glatt umbringen würden, wenn sie wirklich Bescheid wüßten, wenn sie dahinterkämen, was sie alles für das Geld machte, mit dem sie sich ihre Sassoon-Jeans und ihre Goldkettchen finanzierte: Sie tanzte in einer Oben-ohne-Bar, und sie posierte für einen befreundeten Fotografen, der außer Aktfotos noch ganz andere Dinge mit ihr machte. Aber an Sex lag Honey Belle eigentlich gar nichts; sie liebte die Macht. Mein Gott, welche Macht gab ihr der Sex über die Männer. Da oben auf der Bühne zu stehen mit all den blauen und rosaroten Lichtern, die über ihren Körper tanzten; oder auf den Sofas und Kissen diese Stellungen einzunehmen. Nein, der Sex war es wirklich nicht. Die Sache selbst machte ihr gar keinen Spaß. Ihr kam es nur darauf an, daß die Männer daran dachten – daß sie daran dachten, es mit ihr zu treiben. Zu beobachten, wie sie sie beobachteten, und sich vorzustellen, daß diese Männer Fotos von ihr kauften und sie mit den Augen verschlangen, ließ sie lustvoll erschauern. Ihre Karriere ließ sich gut an. Wenn James über die Schule und ihre Zeugnisse sprach, mußte sie an sich halten, ihm nicht ins Gesicht zu lachen. Sie würde Fotomodell werden oder zum Film gehen … Fast als hätte der Gedanke an all die Filmproduzenten, die hinter ihr her waren, plötzlich Gestalt angenommen, hörte sie Schritte hinter sich.
    Honey Belle blieb im trüben Licht einer Straßenlaterne vor einem kleinen Buchladen stehen und zündete sich eine Zigarette an. Die dünne Rauchsäule stieg auf und verflüchtigte sich in dem blau phosphoreszierenden Schimmer der Laterne. Sie lächelte. Eigentlich hatte sie nur das Klappern ihrer Holzsandalen abstellen wollen, um herauszufinden, ob ihr Verfolger ebenfalls stehenblieb. Selbst noch inmitten eines Regiments marschierender Füße hätte sie immer ganz genau gewußt, wenn jemand ihr folgte. Und sie hatte sich nicht getäuscht. Obwohl sie die dunkle Gestalt, die dahinten in der kleinen Gasse mit den Geschäften vor einem Schaufenster stand, eigentlich gar nicht gesehen, sondern nur

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