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Inspektor Jury küsst die Muse

Inspektor Jury küsst die Muse

Titel: Inspektor Jury küsst die Muse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Blues schauspielerischem Talent bestanden hatten, so wurden sie jetzt jedenfalls vollkommen beseitigt durch die Vorstellung, die sie gab, als sie von dem Mord an ihrer Tochter erfuhr.
    Denn genau das und nichts anderes war es – eine Vorstellung. Wie Jury vermutet hatte. Und es lag bestimmt nicht daran, daß er nach über zwanzig Jahren bei Scotland Yard gefühllos geworden war. Nachdem sie auf dem kleinen Sofa im Salon ihrer «Hilton»-Suite aus ihrer Ohnmacht erwacht war (oder Beinah-Ohnmacht, denn so lange hatte sie nun auch wieder nicht gedauert), stürzte sie sich mit ausgefahrenen Krallen auf Farraday, als sei er schuld daran, daß sie sich überhaupt in diesem mörderischen Ort aufhielten; dann richtete sich ihr Zorn gegen Lasko und Jury als die Überbringer der Hiobsbotschaft, und schließlich stolzierte sie im Zimmer auf und ab, als beherrschte sie die Kunstgriffe einer überzeugenden Bühnenpräsenz aus dem Effeff: Und nun zum Fenster. Hinausstarren. Zurück zum Tisch. Foto von Honey Belle in die Hand nehmen, das letzten Sommer aufgenommen worden war – erst letzten Sommer, am Strand, umlagert von ihren Verehrern. Gegen Busen drücken.
    Und gegen ihren Busen ließ sich einiges drücken. Vielleicht war ihm die Saat dieses Zweifels an Amelias mütterlichen Gefühlen zum erstenmal an den Ufern des Avon eingepflanzt worden, als er sich mit Penny unterhalten hatte.
    Jury konnte auch sehen, welche Qualitäten Farraday zum erfolgreichen Selfmademan gemacht hatten. Seine Selbstbeherrschung überzeugte sehr viel mehr als die Hysterie der Mutter. Die Gefahr war gleich einem Standbild, das plötzlich beschlossen hatte, sich zu bewegen und zu reden, in sein Leben eingedrungen und hatte seine frühere Wut über das Verschwinden seines Sohnes, sein Geschrei nach größerem und besserem Polizeieinsatz, seine Drohungen mit der amerikanischen Botschaft, also die Angewohnheit, seinen Einfluß in allen Lebenslagen lautstark geltend zu machen, gebändigt.
    Statt dessen schrie nun Amelia Zeter und Mordio, während ihr Mann versuchte, sie zur Vernunft zu bringen.
    «Beruhige dich, Amelia. Das hilft uns auch nicht weiter.»
    « Du! Was weißt du schon – dir ist das wohl alles egal – das arme süße Ding ist jetzt eben nicht mehr da, wo du es –»
    Farraday gab ihr eine Ohrfeige. Keine sonderlich kräftige, nur einen kleinen Klaps mit dem Handrücken, der sie nicht einmal ins Wanken brachte. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt, und ihre Wangen glühten. Auf ihren leuchtendroten Lippen lag ein Lächeln von kaum zu überbietender Gehässigkeit.
    Niemand schien an Penny zu denken. Sie war auf den Balkon hinausgegangen und hatte sich in der Dunkelheit auf eine harte kleine Bank gesetzt. Fast mochte man glauben, Schatten und Dunkel wären alles, was das Leben für sie bereithielt. Jury überließ es Lasko, den Schiedsrichter zu spielen und den Farradays Fragen zu stellen; er folgte ihr hinaus und setzte sich neben sie.
    Penny starrte ins Leere. Ihr langes Haar war zu einem lockeren Zopf geflochten, den sie so ungeschickt hochgesteckt hatte, daß er sich schon wieder auflöste; die kleine Blume, die sie eingeflochten hatte, war verwelkt. Jury vermutete, daß die Frisur und das formlose Baumwollkleid, an dessen Falten sie geistesabwesend herumzupfte, mit ihrem Besuch der heutigen Hamlet- Vorstellung zusammenhingen. Im Anschluß daran hatte sie dann von dem Mord erfahren.
    Es war seltsam, Penny schien wirklich das Zeug zu einer Tragödin zu haben. In ihrem Schweigen schwang Tragik mit, echte Tragik. Mit ihrem schlechtsitzenden Kleid und dem aufgelösten Haar konnte er sie beinahe wieder sagen hören: «Hier ist Rosmarin … das ist zur Erinnerung.»
    Doch sie sagte nichts. Er spürte, daß er ihr Schweigen brechen mußte, weil er wußte, daß es nicht frei war von Schuldgefühlen. Er legte den Arm um sie.
    Sie flüsterte, und das war viel schlimmer als jedes Geschrei: «Wo ist Jimmy?» Dann begann sie zu schluchzen, schlug die Hände vors Gesicht und lehnte sich an ihn.
    Er wußte, was sie dachte. Seit man Gwendolyn Bracegirdle gefunden hatte, stellte auch er sich diese Frage. Jemand schien gegen die Kunden von Honeysuckle Tours eingenommen zu sein.
    Jury zog sie an sich und sagte: «Wir werden ihn schon finden, keine Angst.» Wie oft hatte er das heute schon gesagt? Leere Worte.
    Penny fuhr sich nicht sehr damenhaft mit dem Handrücken über die Nase und wischte ihn anschließend an ihrem Kleid ab. Er zog sein Taschentuch

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