Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
nach und betrachtete diesmal genau, was ihm bei seinem vorangegangenen Besuch entgangen war: Es gab mindestens ein Dutzend Wandnischen, jede nicht höher als etwa zwanzig Zentimeter und weniger als dreißig Zentimeter breit, in denen verschiedene wasserspeierartige Schnitzereien untergebracht waren, nach deren genauerer Begutachtung er aber kein Bedürfnis verspürte.
So waren die Riffleys: er mit diesem sadistischen Drang nach Trophäenjagd, sie mit ihrer lediglich angedeuteten illustren Karriere und dem echten Talent, aus allem ein Geheimnis zu machen. Wäre Jury Polizeiprofiler gewesen, hätte bei ihm in Bezug auf Angela völlige Leere geherrscht.
»Mr. Jury!«
Er lächelte. War dies der Versuch, ihn zu degradieren, oder lediglich ein boshafter Kommentar zur Polizei als Freund und Helfer? Er mochte wetten, dass sie nur zu gern die gleiche Gassensprache benutzt hätte, derer die Bewohner unter der Waterloo Bridge gegenüber der Polizei sich befleißigten, wenn sie sie gekannt hätte.
»Mrs. Riffley.« Er gestattete sich eine spöttische leichte Verbeugung.
Heute trug sie einen engen weißen Rock mit einer anmutigen Rüsche am Saum, eine weiße Seidenbluse und eine zitronengelbe, flott um die Schultern geschlungene Kaschmirstrickjacke und sah darin höchst adrett aus.
»Kommen Sie doch in die Bibliothek. Wie wäre es mit einem Tee?«, fragte sie.
Er wollte sagen: Nein, und lassen Sie mich hier drinnen bloß nicht allein , machte aber ein tapferes Gesicht. Malcolm Mott hätte es besser gemacht. »Ich hätte vielleicht gern einen Whiskey.«
Dies schien ihr unendlich zu behagen. »Aber selbstverständlich!« Sie warf die Hände hoch, als hätte sie schon den ganzen Tag darauf gewartet, dass jemand danach verlangte. Sie trat an den Getränketisch.
Es war bestimmt ein Kompliment, dass sie ihn persönlich mehr schätzte als den Grund seines Besuches. »Soda? Ich weiß, Sie mögen kein Eis, Sie Purist.«
»Soda, ja. Reichlich.«
Sie spritzte mit solcher Inbrunst am Tisch herum, dass es war, als würde sie darin herumschwimmen. Dann brachte sie ihm seinen Drink. »Ich sehe nicht ein, wieso es besser ist, einen Drink auf diese Art zu verdünnen.« Sie trat wieder an den Tisch und machte sich selbst einen Drink zurecht: Whiskey mit Eis.
»Das hat mit Tradition zu tun, mehr nicht.«
»Verzeihung.« Sie ließ sich auf dem zebragestreiften Zweiersofa nieder, passend zu dem, auf dem Jury saß, und prostete ihm zu.
Er erhob sein Glas und vermied es, an die Wand zu schauen.
Er vernahm ein leises Raspeln, als sie ihre bestrumpften Beine übereinanderschlug. Das Geräusch war nicht unangenehm. Die Beine ebenfalls nicht. »Mrs. Riffley –«
»Können Sie mich nicht Angela nennen? Oder verstößt das gegen die Vorschriften?«
Er beugte sich vor, um seinen Drink neben das seltsame Feuerzeug auf den Tisch zu stellen. »Es geht um die Zeit, als Billy Sie mit auf das Anwesen seiner Eltern nahm.«
»Ach so.« Sie warf den Kopf zurück und stieß ein kurzes Lachen aus. »Der Vater ist doch ein richtiges Landei, nicht? Aber die Stiefmutter ist schlimmer.«
»Billy wollte, dass Sie sich ein paar Bilder ansehen –«
Sie nickte, nippte an ihrem Drink. »Ja, einen Klimt und einen Soutine. Das war vor ein paar Monaten. Der Klimt war wunderbar. Einfach herrlich. Eins der beiden bekannten Porträts der Adele Bloch-Bauer konnte es nicht sein, denn wo die sind, wissen wir. Ich glaube, es handelt sich um eine Art Vorstudie. Billy wollte wissen, ob es Kopien waren. Dass er es überhaupt in Betracht zog, überraschte mich. Ich fragte mich auch, wieso er nicht seinen Vater fragte, es waren schließlich seine Bilder. Aber Billy weigerte sich einfach und sagte, er wolle meine Meinung hören. Sie sind authentisch, natürlich sind sie das. Definitiv Originale. Und Sie wollen nun also wissen, wieso der Vater einem weismachen wollte, es seien Kopien?«
»Das ist das eine. Das andere ist: Wieso sind Sie sich da so sicher?«
Sie nahm eine Zigarette aus dem Kästchen mit den Intarsien. Da Jury das Feuerzeug nicht in die Hand nehmen wollte, zündete sie sich die Zigarette selbst an. Wollte sie Zeit schinden? , überlegte er. Um ihre ehemaligen Karrieren zu ordnen?
»Ich weiß es, weil ich in dem Bereich eine ganze Menge Erfahrung habe. Ich war einmal Kuratorin für eine kleine Galerie in Luxemburg.«
Das war nun ein Ort, wo die Fantasie vermutlich nicht lange verharren würde. An Luxemburg selbst war zwar nichts auszusetzen, man kam nur
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