Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
Phyllis ihm eingeschenkt hatte. Die Tasse hatte Fingerhütchengröße.
Danny lächelte und ging, an mehreren Tischen Halt machend, davon, um ihre Bestellung aufzugeben.
Sie waren beim glasierten Bananendessert angelangt, als das unwillkommene Klingeln seines Handys Jury zusammenzucken ließ. »Mist.« Er riss es aus den Tasche. »Ja?«
Es war Detective Inspector Aguilar.
»Ich bin im Dust.« Sie legte auf.
Jury runzelte die Stirn und klappte das Telefon zu.
»Probleme?«, fragte Phyllis.
»Sir, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf«, sagte Wiggins, »Sie sollten diesen Klingelton mit ›Three Blind Mice‹ wirklich ändern.«
Phyllis meinte: »Ach, ich weiß nicht. Ich finde, er passt zu ihm.« Während sie sich wieder daranmachte, die dünne Glasurschicht mit den Zähnen zu zerknacken, lächelte sie ihn an.
Jury guckte grimmig.
9
Das Dust bei Tageslicht war ziemlich genauso wie das Dust bei Dunkelheit. Die gleiche Klientel, wie es schien, wenn auch weniger zahlreich, was das Etablissement nicht weniger laut machte, sondern einfach etwas höhlenartiger. Während er auf die Theke zusteuerte, hatte Jury das Gefühl, die Geräusche einzeln wegwischen zu müssen, als bedeckten sie ihn wie Spinnweben.
Sie war an der Bar, und Jury setzte sich. »Und wieso bist du hier?«
Aguilar zündete sich eine Zigarette an – mit einem hauchdünnen Feuerzeug, das aussah, als gehörte es hinter Schloss und Riegel in die königlichen Silbergewölbe. Bestimmt lebte sie nicht ausschließlich von ihrem Polizistinnengehalt. Es ging ihn ja nichts an.
»Das war ein Geschenk«, sagte sie und stieß den Rauch in einem rasiermesserdünnen Strom aus.
Jury hatte die Nase voll von Gedankenlesern.
»Von wem?«
»Heute sind wir aber gereizt!«, sagte sie.
»Und morgen sogar noch gereizter.«
»Von einem Onkel«, erwiderte sie als Antwort auf die Frage nach dem Feuerzeug. »Rodrigo. Er lebt in Buenos Aires. Stinkreich.«
»Stammst du aus Argentinien?«
»Aus Brasilien.«
»Würdest du das gern näher ausführen?«
»Nein.« Sie blies Rauchkringel.
»Keine Details über deine schwierige Kindheit, deine drogenbelastete Jugend?«
Sie sah ihm in die Augen. »Du brauchst keine Details.«
»Richtig.« Jury bestellte beim Barkeeper ein Pint Foster’s. »Wieso bist du hier?«
»Statt in Brasilien?« Sie musterte ihn, die Brauen dem Gesagten Nachdruck verleihend. »Schon vergessen? Wir ermitteln hier in einem Mordfall, und du hilfst mir dabei. Ich spreche gerade mit Ty.«
»Ich bin aber gar nicht mehr …« Er hatte es sagen wollen und konnte nicht. Er hasste sie. Nein, er hasste sich selbst. Er hasste sie alle beide. Oder keinen. Niemand war schuld. Es war einfach ein heftiger Zusammenprall, der nicht hätte passieren dürfen und doch passiert war.
»Waren wir mit dem denn nicht fertig?« Oder mit uns?
Der Barkeeper schob ihm ein Foster’s hin und reckte den Daumen in die Höhe, wobei Jury nicht recht wusste, was die Geste zu bedeuten hatte. Dass er diese Frau aufgegabelt hatte?
»Nein, wir sind nicht fertig. Der Typ ist doch schwul wie Oskar.«
»Na und? Das muss nicht heißen, dass Billy Maples es auch war.«
Sie sah ihn mit diesen dunklen, glänzenden Augen an, und Jury hatte das Gefühl, in ihrem Blick zu versinken. »Du bist ja so naiv.«
Naiv? Ach, Gott. »Ich glaube, ich mag dich nicht.«
»Ich glaube, das ist mir egal.«
Ty tauchte mit zwei Magnumflaschen Champagner aus irgendwelchen Tiefen des Klubs auf.
Aguilar blickte suchend umher. »Ich dachte, das hier wäre der Keller.«
Tys Mund umspielte ein Lächeln, was sich von seinen Augen nicht behaupten ließ. »Gibt’s schon irgendeine heiße Spur wegen Billy?« Die Frage richtete sich an Jury. Von Lu hatte er offenbar inzwischen genug.
Sie antwortete trotzdem. »Darum sind wir hier, Ty. Sagte ich Ihnen doch.«
Tys Stirn knitterte wie altes Pergamentpapier. »Ich hab Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Hören Sie – ich will ja helfen …«
»Dann hören Sie auf, mich hier zu verarschen.« Sie schenkte ihm ein knappes gekünsteltes Lächeln.
Seine karamellfarbene Haut sah plötzlich aschfahl aus. »Was soll das heißen?«
Wieder wandte er sich an Jury, und wieder antwortete ihm Aguilar.
»Ty, Ty, Ty. Wir wissen über alles Bescheid.« Ihr Seufzen, glatt und falsch, war wie das Lächeln. Sie zog ein winziges ledernes Notizbuch aus ihrer Umhängetasche. Jedenfalls hatte Jury es für ein Notizbuch gehalten. Vorne darauf stand jedoch auf Italienisch das
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