Inspektor Jury laesst die Puppen tanzen
doch.«
Die Tür wurde ihnen von einer Hausangestellten ganz in Schwarz geöffnet. Sie war dünn, jung und sah bekümmert aus.
Als Jury sich und Wiggins auswies und sagte, er werde erwartet, bat sie die beiden im Flüsterton herein und ging auf weichen Sohlen davon, um ihrem Arbeitgeber Bescheid zu geben.
Es herrschte jene Art von Stille, die einem Ort innewohnt, wenn alle, die einst dort lebten, fortgegangen sind. Eine Stille der Verlassenheit. Die Gemälde, die Bronzestatue von einem über sein Kätzchen gebeugten kleinen Mädchen, die Statuetten in den Nischen überall an der Wand entlang: All diese Dinge vermittelten einem den Eindruck einer Traurigkeit, die sich vielleicht verflüchtigen mochte, wenn diese Gegenstände nur woanders eine Bleibe finden könnten. Wenn sie nur weggehen könnten.
Während Wiggins die Bronzestatue begutachtete, betrachtete Jury ein großformatiges Gemälde – es maß bestimmt gut einszwanzig auf einsachtzig – von einem Künstler, den er kannte, dessen Name ihm aber nicht einfiel, ein Name, der wegen der vielen Konsonanten schwer zu merken und schwer auszusprechen war: Klp, Klt, nein – Klimt, das war es. Jury runzelte die Stirn. Ein Klimt wäre jedoch ein kleines Vermögen wert, oder nicht? Er besah sich den Rahmen. Vielleicht war er deshalb an der Wand festgeschraubt. Bestimmt ließen sich Diebe dadurch abschrecken. Der Hintergrund war ganz in Gold gehalten, eine hauchdünne Goldschicht, vor der sich das Kleid der Figur in geometrischen Formen unruhig bewegte. Dreiecke, Quadrate, Rechtecke, Balken und Kreise. Sie wirkten wie Papierstückchen, die in einer Lostrommel herumflirren, bis das Gewinnlos gezogen wurde. Gold- und kupferfarbene Quadrate, schwarze Balken, dünne Scheibchen in Grau und Grün schwirrten auf der Leinwand bunt durcheinander. Sie formten, wenn das Auge sie unter Kontrolle bekam, eine leuchtende Robe auf der Gestalt der schwarzhaarigen Frau, bevor sie sich in die dünnen Goldschichten auflösten, die man gelegentlich auf einem kunstvoll gemachten indischen Dessert findet, essbar und seltsam.
Die Hausangestellte kam aus dem Zimmer, in das sie zuvor getreten war, und bedeutete ihnen durch Handzeichen, ihr zu folgen.
Im Zimmer war nur Roderick Maples. Er stand vor einem ausgehenden Feuer, in der Hand den Schürhaken, mit dem er offenbar gerade die Flammen angefacht hatte. Er besaß so wenig Ähnlichkeit mit Sir Oswald Maples, wie ein Sohn mit seinem Vater nur haben konnte – doch wieso suchte Jury nach einer Ähnlichkeit? Da fiel ihm wieder ein, dass Oswald ja gar nicht der leibliche Vater des Mannes war. Seine schlaksige Gestalt, seine harten steingrauen Augen, sein Gebaren – ohne Lächeln und ziemlich abweisend.
»Mir ist nicht ganz klar, Mr. … ach ja, Jury, nicht wahr?«
Roderick Maples wusste natürlich, dass es Mr. Jury war und dass Mr. Jury ein Superintendent bei der Kriminalpolizei war, wusste er auch. Aber eigentlich gönnte Jury dem guten Mann seine Abwehrhaltung. Er sagte: »Ganz recht. Und Detective Sergeant Wiggins.«
»Mir ist nicht ganz klar, wieso es nötig ist, dass man wegen des Todes meines Sohnes noch mehr Polizei herschickt.«
Dies sagte er mit versteinerter Miene und sah dabei aus, als hätte er die geschmeidige Wärme des gusseisernen Schürhakens, den er wieder zu dem Kaminbesteck zurückgetan hatte, das an einem antiken Messinghalter hing.
»Dürfen wir uns setzen?«, fragte Jury.
»Was? O ja, natürlich. Setzen Sie sich hin, wo Sie wollen«, sagte er.
Jury wollte lachen. Es hörte sich an wie in einem Restaurant, in dem gerade wenig Betrieb herrschte. Sie setzten sich, Jury in einen mit grauem Seidenmoiré bezogenen Sessel direkt gegenüber Roderick und dem Kamin. Neben dem marmornen Kaminsims hing ein weiteres kleines Gemälde von einem Künstler, der Jury nicht vertraut war, ihn aber an van Gogh erinnerte. Wahrscheinlich wegen der Pinselführung.
Wiggins hatte in einem giftgrünen Sessel Platz genommen. Roderick Maples blieb vor dem mit Marmor umrandeten Kamin stehen wie einer, der sich vorzeitig empfehlen wollte.
Er sagte: »Ich kann Ihnen bloß das sagen, was ich dem anderen da schon gesagt habe –«
Etwas ungehalten schaltete Wiggins sich ein: »Wir nehmen an, Sie meinen Detective Sergeant Chilten?«
Maples reagierte mit einem frostigen leichten Nicken. »Ich kann Ihnen bloß das sagen.«
»Dann sagen Sie es uns«, meinte Jury.
»Das letzte Mal sah ich meinen Sohn vor gut einer Woche, als ich nach London
Weitere Kostenlose Bücher