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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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beiderseits einer Straßenbiegung eng zusammenduckten, und wirkte wie das Zerrbild eines Dorfes, so als sei man in einem Spiegelkabinett. Als erstes kam eine Gruppe Häuser, die aussah, als bedeckte ein einziges Reetdach sie alle, die übrigen Häuschen standen einzeln darum herum. Das Cottage der Mulvanneys war das letzte am Dorfrand. Es stand allein, hatte Fenster nach allen Seiten und war nicht zu übersehen.
    Aber anscheinend war niemand vorbeigekommen, als jemand Rose Mulvanney mit dem Messer so übel zugerichtet hatte. Kein Zeuge hatte jemanden hinein- oder hinausgehen sehen. Niemand hatte einen Fremden herumlungern sehen. Niemand hatte etwas gehört. Und niemand, der Sam Waterhouse kannte, traute ihm eine solche Tat zu.
    Macalvie ging allen nur erdenklichen Spuren nach – und das waren nicht allzu viele. Er befragte sogar den Milchmann und ließ sich von dem komischen Vogel in der Zweigpoststelle fast täglich etwas über Rose vorzwitschern, zum Beispiel, was sie so einkaufte. Macalvie schüchterte die Lehrerin des Kindergartens ein, wollte ihr das bißchen aus der Nase ziehen, was sie über Teresa Mulvanney wußte. Und er quetschte Teresas Schulkameradinnen aus, jede, die er zu fassen bekam, bis sich die Schulleiterin schließlich bei der Polizei von Devon und Cornwall beschwerte.
     
    Eine der wichtigsten Personen in diesem Fall hatte er anfangs völlig übersehen, nämlich Roses ältere Tochter. Sie war auf Klassenfahrt gewesen, als ihre Schwester die schaurige Entdeckung machte.
    Eines Tages kam sie in Macalvies Büro gestürmt, ein schlaksiges, fünfzehnjähriges Gör mit dürren Armen, flacher Brust und langem Haar. Da stand sie, und ihre Augen sprühten Feuer, sie schrie ihn an und warf ihm die schlimmsten Beleidigungen an den Kopf. Man hatte ihre kleine Schwester Teresa ins Krankenhaus gebracht. Teresa war Katatonikerin. Sie lag nur noch im Bettchen, hatte sich zusammengerollt wie ein Baby und nuckelte am Daumen.
    Macalvie fühlte sich, als hätte er bisher in seiner eigenen Unfehlbarkeit gebadet wie in warmem Wasser (der Gedanke, er könnte einen Fall nicht aufklären, war ihm noch nie gekommen), und da platzte dieses junge Mädchen herein und zog den Stöpsel aus seiner Badewanne. Sie fegte hysterisch mit dem Arm über seinen Schreibtisch und warf Papiere, Kulis und gebrauchte Kaffeebecher auf den Boden.
    Es gelang ihm nicht, den Fall aufzuklären. Er konnte sich das nie verzeihen, das Mädchen sah er nie wieder.
    Sie hieß Mary Mulvanney.

 
     
     
     
    Z WANZIG J AHRE SPÄTER
     

E RSTER T EIL
    D IE G ASSE
BEIM S TÄNDEBAUM
     
     

1
    S IMON R ILEY HATTE gar nicht gemerkt, was mit ihm geschah.
    Das jedenfalls meinte der Polizeiarzt, den die Beamten von Dorset zum Schauplatz des Verbrechens gerufen hatten. Ein schneller, zielsicherer Stoß in den Rücken, mit einem rasierklingenscharfen Messer. Der Pathologe pflichtete ihm bei und setzte noch hinzu, man könne an der Stoßrichtung erkennen, daß der Messerstecher merklich größer als Simon gewesen sein mußte. Was der Polizei von Dorset nicht viel weiterhalf, denn Simon war ein zwölfjähriger Schüler. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte er eine schwarze Jacke und einen Schlips, seine Schuluniform, getragen. Daß der Mörder mindestens dreißig Zentimeter größer war als der Junge, würde kaum dazu beitragen, seine Identität festzustellen.
    Man hatte den Jungen in der Gasse beim Pub «Der Ständebaum» gefunden. Er lag mit dem Gesicht auf der Erde da, in Fötushaltung vor der fensterlosen, zur Gasse gehenden Mauer des Gebäudes zusammengekrümmt. Neben dem Toten fand man eine Zehnerpackung John Players Special und einen Playboy . Simon hatte dem Doppellaster aller halbwüchsigen Schüler gefrönt – Zigaretten und Pornos –, als sich der Mörder von hinten angeschlichen hatte. So jedenfalls rekonstruierte Detective Inspector Neal von der Polizei Dorsets den Mord, und es gab keinerlei Grund, seine Theorie anzuzweifeln.
    Die Küchenhilfe des Pubs hatte den Jungen am schrecklichen Abend des 10. Februar gefunden, als sie die Seitentür öffnete und einen Beutel Abfall in die Mülltonne werfen wollte. Die Polizei hatte sie derart in die Mangel genommen, daß man ihr ein Beruhigungsmittel geben mußte.
    «Der Ständebaum» lag versteckt in einer Seitenstraße von Dorchester. Die düstere kleine Gasse, wo man den Jungen gefunden hatte, endete vor einer nackten Wand. Günstig gelegen für Simon Rileys geheime Vergnügungen. Leider auch günstig

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