Inspektor Jury lichtet den Nebel
mich auf den Arm, Plant.»
«Das wäre schwierig.» Melrose vertiefte sich jetzt in die Rezensionen, nachdem er sich ausgiebigst über das politische Geschehen in aller Welt informiert hatte.
«Ich meine, du trinkst schließlich den Portwein, nicht ich.» Sie griff zu ihrem Glas und trank auf die Macht ihrer eigenen Logik.
Melrose ließ die Times erneut sinken und blickte nach oben, in das Gebälk. Ob die Fliege da oben wohl wie eine Gewehrkugel die Leere ihrer Unterhaltung durchschlagen könnte? «Die Gicht kann viele Ursachen haben, Agatha. Womöglich hast du die Kuchen-Gicht. Wer weiß, wenn du auf die fetten Torten verzichten würdest, ginge es deinem Fuß vielleicht besser! Es ist kein irreversibler Zustand.» Er fragte sich, ob das Leben das sei, als er mit seiner Tante redete, und fuhr fort.: «Gicht leitet sich von dem lateinischen Wort gutta ab. Das heißt ‹Pfropfen› oder ‹Tropfen›. Aber du glaubst doch wohl nicht, daß jeder wohlbeleibte alte Sahib, der unter Palmen sein Gläschen Port trinkt, an Gicht leidet? Gicht entsteht durch Harnsäureablagerungen. So was bekommt man von zuviel Sardinen oder Stinten oder Innereien. Du hast doch nicht etwa zuviel Innereien gegessen, oder?»
«Genau die Bemerkung, die von dir zu erwarten war, Plant. Nicht die Spur von Mitgefühl.»
«Wieso bist du dann mit deinem schlimmen Fuß am Stock in die ‹Hammerschmiede› gehumpelt, wenn du sowieso schon wußtest, was ich sagen würde?» Er wollte das Thema auf Bücher, auf Literatur lenken, vielleicht interessierte sich Agatha ja (aufgrund irgendeiner abartigen Sternenkonstellation) für amerikanische Autoren, schließlich war sie Amerikanerin. Mit einem Blick in die Zeitung sagte er: «Da, nun sieh dir das an –»
Diese Bemerkung hätte sich auch auf den Mann beziehen können, der jetzt die «Hammerschmiede» betrat – den Antiquitätenhändler von Long Piddleton, Marshall Trueblood. Trueblood sah aus wie ein Passagier auf dem Deck eines gerade ausgelaufenen Ozeandampfers, als wäre er umwirbelt von Konfetti und bunten Luftschlangen. Dazu paßte der dunkelrote Seidenschal, den er sich locker um den Hals geschlungen hatte und der ebenso wie sein Kaschmircape im Schottenmuster hinter ihm herwehte.
Dick Scroggs, der Wirt, begrüßte den Neuankömmling wie alle Stammkunden: «Tür zu, Mann.» Dann vertiefte er sich wieder in die Lektüre seiner Zeitung, die er auf der Theke ausgebreitet hatte.
«Mein lieber Scroggs. Warum so barsch, wenn das Geschäft so gut läuft? Sie haben ganze drei Gäste: Plant, Agatha und Mrs. Withersby, wenn sie die als vollwertigen Gast zählen wollen.» Er befreite sich aus seinem schönen Mantel, setzte sich und stieß dabei an Lady Ardrys schlimmen Fuß.
«Autsch», sagte diese aggressiv, denn in ihren Augen war Trueblood nicht viel mehr wert als Mrs. Withersby. Aber immerhin hatte er Geld, wenn auch nicht soviel wie ihr Neffe.
Trueblood gab eine Runde aus und spendierte einen Gin mit Wermut. Er bot von seinen Balkan Sobranies an, zündete sich selbst eine (farblich zu seinem Schal passende) lavendelfarbene an und klopfte sich Aschestäubchen vom meergrünen Hemd. Trueblood war der Edelstein in der Krone, die Long Piddleton hieß, und Long Piddleton war ein Dorf, eine beeindruckende Ansammlung von Cottages und Geschäften in den Hügeln von Northamptonshire. Scroggs brachte die Getränke, und Trueblood fragte Plant, welche Lektüre ihn denn da so ungemein fessele.
«Rezensionen.»
«Ach, wie reizend. Irgendwas Nützliches dabei?»
Trueblood war zwar kein Geizkragen, aber er maß alles nach Kriterien der Nützlichkeit.
«Gerade wollte ich Agatha diese Kritik vorlesen, sie ist schließlich Amerikanerin –»
«Jetzt hör endlich auf, mir das ständig unter die Nase zu reiben, Plant.» Sie betastete ihren Verband so vorsichtig, als streichle sie ein Neugeborenes. «Will es denn einfach nicht in deinen Kopf, daß ich deinen Onkel geheiratet habe und daß –»
Sie schüttelte andauernd Verwandte von seinem Stammbaum, als ob Melrose sich nicht selbst an die erinnern könnte.
Melrose unterbrach sie. «Jetzt hör mal zu, was hier steht: ‹Dieser Ton leichter Überlegenheit ist an vielen Stellen unerträglich, insbesondere da er symptomatisch ist für eine Kultur in ihrer imperialen Phase –›»
«Was wird denn in dieser Rezension besprochen?» fragte Trueblood. «‹Das Elefantenkind?›»
«Ein Essayband von John Updike. Aber was zum Teufel ist damit gemeint? Selbst wenn man
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