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Inspektor Jury lichtet den Nebel

Inspektor Jury lichtet den Nebel

Titel: Inspektor Jury lichtet den Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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ihre Schüchternheit auslegen.
    «Na, komm schon, Jess», sagte ihr Onkel. Es geschah wirklich nicht häufig, daß er sich für Jessicas Benehmen schämen mußte. Nun tat er das offenbar.
    Henry hatte «komm schon» gehört und schreckte aus seinem Nickerchen hoch.
    «Du nicht», murmelte sie und versetzte ihm einen sanften Tritt.
    Die freundliche Stimme sagte: «Na gut, dann unterhalten wir uns eben beim Lunch. Oder beim Dinner.» Jetzt klang die Stimme belustigt. «Beim Frühstück? Ich weiß nur nicht, ob ich so lange durchhalte …»
    Schlau von der Neuen. Sie nahm Jessie ihr Benehmen nicht übel, und dabei wußte Jess, wie unmöglich es war. Klar, daß diese Freundliche Fanny auch Sinn für Humor hatte. Schließlich hatte auch Onkel Rob einen umwerfenden Sinn für Humor. Jessie wußte, daß Humor alle möglichen Fehler ausglich. Außer der Tatsache, daß sie vielleicht potthäßlich war. Jessie riskierte einen raschen Blick nach oben. Pech gehabt. Fanny war weder ein Monster noch ein Zwerg, sie war fast hübsch. Aussichtslos. Und geduldig war sie auch. Eine Engelsgeduld, denn ein Engel mußte sie wohl sein. Jessie erinnerte sich dunkel an ein Shakespeare-Zitat, die Irre Irene hatte sie gnadenlos mit Shakespeare bombardiert.
    «Jess!» versuchte es Onkel Rob erneut, jetzt deutlich aggressiver. «Was soll das, warum stehst du da wie ein Ölgötze und ringst die Hände?»
    Jessie sagte mit geschlossenen Augen: «Ich ringe sie nicht, ich wasche sie. Was, werden diese Hände nimmer rein? – Nichts mehr davon Ge –» Wie es weiterging, wollte ihr nicht einfallen.
    Nun hörte sich Onkel Robert besorgt an. «Jessie. Bist du krank? Was ist los mit dir?» Ein unsicheres Lachen. «Du wirkst etwas irre.»
    Ganz recht. Sie lachte in sich hinein und lief aus dem Zimmer.
    Da sie bei ihrem Abgang nicht «Komm schon, Henry» gesagt hatte, blieb Henry dösend auf der Schwelle stehen.

17
    «U ND SO HAT ES SICH ABGESPIELT », sagte Macalvie. Sie saßen in dem mobilen Büro in Wynchcoombe. Macalvie hatte den Sergeanten, der die Telefonanlage bediente, drei Wachtmeister und Constable Coogan hinausgeworfen, so daß neben Jury und Wiggins nur noch Detective Inspector Neal zugegen war, der Macalvie über den Rand seines Kaffeebechers hinweg gelassen musterte.
    «Sie haben den Fall also aufgeklärt, Macalvie?» fragte Neal ironisch. «Das möchte ich, verdammt noch mal, auch hoffen. Weil ich nämlich in einer Sackgasse stecke. Unser Oberwachtmeister ist ganz schön durcheinander. Dauernd diese Anrufe von ängstlichen Eltern.»
    Macalvie lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. «Sein Pech. Grüßen Sie Dorset schön, und fragen Sie Ihren Chef, ob er mir weitere vierundzwanzig Stunden zugesteht.»
    Neal lächelte und schüttete den Rest seines Kaffees in den Ausguß. «Wird sofort gemacht. Ich fahre wohl lieber zurück und kümmere mich um den Mörder des kleinen Riley, was meinen Sie?»
    Macalvie nickte ernst. «Damit würden Sie der Polizei von Dorset einen Riesengefallen tun.»
    Neal ging kopfschüttelnd.
    Macalvie redete weiter, als wäre nicht Neal, sondern sein Geist durch die Tür entschwebt und als gehörte er zu einer ganzen Welt von Geistern, die ihn anstaltsreif machen wollte. Die Mächte der wirklichen Welt konnten ihm schließlich nichts anhaben.
    «Nehmen wir mal den Namen des Pubs, wo diese Mordserie anfing, ‹Der Ständebaum›. Normalerweise ist so ein Schild in fünf Felder aufgeteilt, in denen fünf Figuren für die fünf Gewalten stehen. Der Priester symbolisiert die Kirche, der Anwalt das Recht, der Soldat das Militär, richtig? Dann eine Figur, die die Staatsgewalt symbolisiert. Schließlich eine Figur, die König, Königin oder das Land symbolisiert. Aber auf unserem Ständebaum in Dorset ist die fünfte Figur der Teufel, der ‹alles nimmt›. Zum Beispiel Menschenleben. Wir haben George Thorne, einen Rechtsanwalt; wir haben Davey Whites Großvater, einen Pastor –»
    Wiggins unterbrach ihn. «Sie vergessen, daß Simon Rileys Vater bloß Metzger ist.»
    Macalvie lächelte schmal. «Stimmt, aber seine Frau ist mit einem Staatsanwalt verwandt, der sich fürs Parlament hat aufstellen lassen – mit anderen Worten, er vertritt die Staatsgewalt. Fehlen noch zwei Figuren: der Soldat und der Teufel. Der Teufel ist der Mörder. Fehlt also noch ein Mord.» Er blickte Jury an. «Meine Theorie scheint Ihnen nicht einzuleuchten.» Macalvie hielt Wiggins die Hand hin, der ihm eine

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